Teure Andeutung über unseren Staat

■ Flugblatt zu den getöteten Polizisten an der Frankfurter Startbahn soll verunglimpft haben / Der Angeklagte hatte auf „Celler Loch“ und den Einsatz von Provokateuren verwiesen / 2.250 Mark Geldstrafe

Aus Nürnberg Wolfgang Gast

Das Nürnberger Amtsgericht hat den 21jährigen Druckereihelfer Dietmar B., Mitglied der „Initiative zur Vereinigung der revolutionären Jugend Nürnberg“ zu einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen a 30 Mark verurteilt. Dietmar B. soll mit einem Flugblatt, das er am 15.11.87 am Rande einer DGB– Demonstration gegen den NPD– Parteitag im mittelfränkischen Höchstadt verteilte, den Staat und seine Symbole verunglimpft haben. In dem Flugblatt, kurz nach den tödlichen Schüssen an der Frankfurter Startbahn, hatte Dietmar B. Zweifel an der amtlichen Version zum Tathergang geäußert. Unter Berufung auf das Bundesvorstandsmitglied der Grünen Jutta Dithfurt hatte er geschrieben: „Dieser Staat brauchte und braucht wieder fast nichts so sehnsüchtig wie den Terror, den Schrecken. Er braucht ihn, um von seiner eigenen tagtäglichen Gewalt abzulenken.“ In eigenen Worten ergänzte er: „Wer kann da schon ausschließen, daß dieser Staat seinen benötigten Terror zur Not auch mal selbst produziert.“ Und er erinnerte in diesem Zusammenhang an die Übergriffe des Berliner Sondereinsatzkommandos EbLT am Bauzaun der WAA, an das Celler Loch und den Einsatz von Provokateuren anläßlich des Besuches von US–Außenminister Bush in Krefeld. Das Flugblatt zog am 30. Dezember eine Hausdurchsuchung nach sich und am 15. Februar erhielt Dietmar B. mit der Post einen Strafbefehl über 2.250 Mark. Die Ermittlungen hätten ergeben, so Amtsrichter Ackermann in dem Strafbefehl, daß aus Anlaß der Ermordung zweier Polizeibeamter die Bundesrepublik als ein Staat hingestellt werde, „dem zuzutrauen sei, daß er zur Ablenkung der Bürger von elementaren Fragen und zur Anheizung des politischen Klimas Menschen erschießen lasse“. Der Widerspruch gegen den Strafbefehl führte am Mittwoch zur Verhandlung vor dem Nürnberger Amtsgericht, wiederum vor Richter Ackermann. Nach einer einstündigen Verhandlung lautete das Urteil - identisch mit dem Strafbefehl - 75 Tagessätze, insgesamt 2.250 Mark Geldstrafe für Dietmar B., der über ein Einkommen von knapp 900 Mark verfügt. In der mündlichen Urteilsbegründung unterstellte Ackermann dem Angeklagten eine „perfide Art und Weise, die Freiheit der Meinungsäußerung zu mißbrauchen“. Die einzelnen Sätze seien zwar nicht strafbar, aber durch die unterschwelligen „Andeutungen“ im Text lasse sich eine Verunglimpfung des Staates ableiten. Der Verfasser habe dem „unbefangenen Leser“ den Eindruck vermitteln wollen, daß der „Staat durch die Ermordung der Polizisten Märtyrer braucht“, um anschließend schärfere Gesetze durchsetzen zu können. Die Anwältin von Dietmar B. kündigte nach der Urteilsverkündung den Gang in die Berufungsinstanz an.