Türkei: Neue Welle von Hungerstreiks

■ In Konya, Diyarbakir und Anasya wehren sich politische Gefangene mit Hungerstreiks gegen die ständige Verschärfung der Haftbedingungen / Ihre Forderungen zielen darauf ab, erkämpfte Mindestrechte zu behaupten / Totale Nachrichtensperre

Aus Istanbul Ömer Erzeren

Der jungen Rechtsanwältin Cevriye Aydin, gerade aus Konya nach Istanbul zurückgekehrt, stehen Tränen in den Augen. „Sie werden sterben, und niemand tut etwas dagegen.“ Sie ist die einzige, die einen der sechs politischen Gefangenen im Gefängnis von Konya nach Beginn ihres Hungerstreiks besuchen konnte: den Lehrer A. Kadir Konuk, 41 Jahre alt, verheiratet, drei Kinder, akute Angina pectoris. „Ich habe in Konya Blumen gekauft, bevor ich ins Gefängnis ging. Im Gefängnis bot sich ein Schreckensbild: ein gekrümmter Körper mit behäbigen Bewegungen in dem vier Quadratmeter großen Besuchszimmer, das durch Gitter abgeteilt ist. Mein Vater ist an Krebs gestorben. Bei Kadir Konuk sah ich die gleiche bleich–gelbe Gesichtsfarbe. Als ich Kadir Konuks Hände berührte, waren sie eiskalt.“ Der Hungerstreik von Konuk und seinen Mithäftlingen Ali Akgün, Sedat Yilmozeoy, Nuzaffer Öztürk, Bekir Merio und Mehmet Cimon, von der türkischen Presse gänzlich ignoriert, begann seit der Verlegung am 24. April vom Gefängnis Ermenek nach Konya. In Ermenek verfügten die Gefangenen nach langen Kämpfen über bescheidene Rechte. Im Gefängnis Konya angekommen, einem Spezialgefängnis, das erst im Januar 1988 eröffnet worden war, wurde ihnen das Leben zur Hölle gemacht. Die Forderungen des Hungerstreiks in Konya sollen nur erkämpfte Rechte wahren: Abschaffung der Häftlingsuniform, Rückgabe persönlicher Sachen wie der Bettbezüge, die Erlaubnis, Bücher zu empfangen, sowie längere Besuchszeiten. In ihrer jahrelangen Haftzeit haben die Gefangenen mehrere Hungerstreiks durchgeführt. Doch es existiert ein Unterschied: Bei den vergangenen Hunger streiks erlaubten die Gefängnisleitungen den Gefangenen, Wasser mit gelöstem Zucker zu sich zu nehmen. In Konya wurde ihnen der Zucker entzogen: Todesfasten im eigentlichen Sinne, wenn man die physische Konstitution der Gefangenen bedenkt. Yilmazeoy ist Asthmatiker, Akgün magenkrank, Cimon hat TBC, Merio Nierenschäden. „Die Gefängnisverwaltung verweigert den Gefangenen ihre Decken und ihr Bettzeug, die sie im vorherigen Gefängnis nutzten. Sie haben ihnen stattdessen eine stinkende und verschmierte Decke gegeben“, berichtet die Rechtsanwältin. Hinzu kommt die totale Nachrichtensperre. Mit Beginn des Hungerstreiks in Konya wurde - als Strafmaßnahme– für drei Monate den Gefangenen jeder Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten. A. Konuk ist - wie die anderen Gefangenen auch - zum Tode verurteilt. Sein Todesurteil liegt dem Parlament zur Bestätigung vor. Er wurde verurteilt zu einer Zeit, als in den Folterzentren tausende Geständnisse erpreßt wurden. Konuk - seit 1982 inhaftiert - durfte keine Verteidigungsrede halten und wurde 1983 in Abwesenheit zum Tode verurteilt: aufgrund des § 146, des Lieblingsparagraphen der Kriegsgerichte in der Nachputsch–Ära - Aufforderung zum gewaltsamen Umsturz der Verfassung. Daß er keinem einzigen Menschen ein Haar krümmte, ist in den Gerichtsakten nachzulesen. „Wir wollen nicht nach unserem Tod zu Märtyrern erklärt wer den, wir wollen, daß ihr draußen etwas unternehmt, daß wir leben können.“ Diese Nachricht hat er seiner Anwältin mitgegeben. Der Staatsanwalt hat inzwischen erklärt, der Hungerstreik der Gefangenen in Konya sei zu Ende. Die Forderungen der Gefangenen seien nicht erfüllt worden. Die Kontaktsperre wird aufrechterhalten. Weitere Informationen liegen nicht vor.