Wenn drei sich streiten...

■ Sikhs profitierten bisher von indo–pakistanischen Grenzkonflikt / Waffennachschub über „die grüne Grenze“ im Schmuggelgebiet / Die Separatismusforderungen der Sikhs nützen Pakistan / Indien reagiert mit Stacheldraht und Todesstreifen / Tempelsturm in Amritsar

Von Uwe Hoering

Minen, Stacheldraht, Scheinwerfer, Todesstreifen - so könnte bald die Grenze zwischen Punjab und Pakistan aussehen, ein veritabler Westwall, wo heute noch eine kaum erkennbare „Grüne Grenze“ mitten in Feldern, mannshohem Gras, zerklüfteten Flußtälern verläuft. Auf indischer Seite sind seit einiger Zeit Evakuierungsmaßnahmen der Bevölkerung in Grenznähe im Gange. In einem 15 Kilometer breiten Streifen entlang der 550 Kilometer langen Grenze wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Denn seit ein Ende des Afghanistan–Konflikts absehbar ist, fürchtet man in Neu Delhi, daß aus den Arsenalen der Mudjahedin bald mehr Waffen als je zuvor in die Hände der militanten Sikhs geraten könnten. Schon jetzt gibt es alle paar hundert Meter einen Posten der Grenzschutztruppe BSF. „Wir haben Befehl, auf jeden zu schießen, der die Grenze überschreitet“, sagt der Kommandant des Grenzpostens Pul Kanjri. Einige hundert Tote jedes Jahr beweisen, daß der Schießbefehl ernst genommen wird. Ein Paradies für Schmuggler Den regen illegalen Grenzverkehr kann die Truppe dennoch nicht völlig unterbinden. Menschenhändler verschieben Bangladeshis nach Pakistan, Schmuggler, Spione und Sikh–Militante nutzen das unübersichtliche Terrain zum Grenzübertritt ohne Paß– und Zollkontrolle. Die wahren Herren der Grenzregion sind die Schmuggler. Sie bestimmen, wer Dorfvorsteher wird, vielen Dorfbewohnern bringen Kurierdienste einen Nebenverdienst. Unauffällig holen Bauern nach der Feldarbeit Schmuggelgut ab, das gleich hinter der Grenze deponiert wurde, und transportieren es unter Stroh versteckt an den Grenzschutzposten vorbei. Die Verbindungen der Unterwelt reichen bis in die politischen Zirkel der Landeshauptstadt Amritsar, ja bis nach Delhi. Seit auch in Pakistan der Goldpreis gestiegen ist, wird das Geschäft vor allem mit „Schokolade“, Deckname für Haschisch, gemacht und mit „Khaki“, „brown sugar“, unverarbeitetes Heroin, das in den letzten Jahren zur billigen, schnell antörnenden Modedroge in Rikscha–Fahrer– und Studentenkreisen geworden ist. Über die Grenze kommt aber auch der Stoff für Europa, der zumeist über Bombay weitergeleitet wird. Nicht weniger lukrativ ist der Waffenschmuggel. Abnehmer für Revolver Marke pakistanischer Eigenbau sind militante Sikhs, Nordindiens Banditen oder die Privatarmeen von Grundbesitzern, die die Waffen bei Massakern an aufmuckenden Landarbeitern oder rivalisierenden Kastengruppen einsetzen. Die Idee eines Westwalls kam allerdings erst auf, seit die radikalen Sikhs sich den kleinen Grenzverkehr für ihren Kampf gegen die Zentralregierung zunutze machen, seit Unterwelt und Separatisten, die unverdrossen einen unabhängigen Staat Khalistan fordern, Hand in Hand arbeiten. „Alle Waffen, die für die Terroristen aus Pakistan rüberkommen, werden von Schmugglern rein gebracht.“ So sieht es S.S. Virk, der ehemalige Polizeichef von Amritsar. Vor allem aber werden Stoßtrupps militanter Sikhs aus Pakistan eingeschleust, die ebenso unauffällig wieder verschwinden, wenn ihnen der indische Boden zu heiß wird. Der Feind meines Feindes Mit Schadenfreude beobachtet Pakistan den Ärger, den sein Nachbar mit den aufrührerischen Sikhs hat. Islamabad hat gegen die illegalen Grenzgänger kaum Einwände. „Der Feind meines Feindes“, so ein altes Sprichwort, „ist mein Freund.“ Pakistan hat mit Indien noch eine alte Rechnung aus den Zeiten der Separation zu begleichen. Vor vierzig Jahren konnten sich die beiden jungen Staaten nicht einigen, ob das von einer hinduistischen Feudalclique regierte Kaschmir mit seiner mehrheitlich muslimischen Bevölkerung dem islamischen Pakistan zugeschlagen werden sollte. Der erste von seither drei Kriegen in den Bergen Kaschmirs endete mit einer vorläufigen Teilung der Beute. Bis heute stehen sich indische und pakistanische Truppen an der Waffenstillstandslinie Auge in Auge gegenüber. Scharmützel wie im Oktober, als pakistanische Truppen vergeblich versuchten, eine Schlüsselstellung der Inder auf dem Siachen–Gletscher zu erobern, sind an der Tagesordnung. Neben Kaschmir ist Punjab der wichtigste Frontstaat in diesem Erbstreit. Durch ihn führen die Verbindungswege nach Kaschmir, auf denen der Nachschub für die dort stationierten indischen Truppen rollt. Die Separatismusforderungen der Sikhs bekommen dadurch eine internationale Dimension, die Pakistan Vorteile verspricht, was die Sikhs zur Beunruhigung Neu Delhis wiederum geschickt zu nutzen wissen. Beiderseitige Aufrüstung Hinweise auf eine zunehmende Aufrüstung der Militanten und die Anschlagswelle der letzten Wochen versetzen die indische Regierung in Alarmbereitschaft. Mitte März etwa wurde ein Polizeiposten mit einem Raketenwerfer sowjetischer Bauart angegriffen, seit kurzem sollen die Separatisten auch über einige US–amerikanische Stinger–Raketen verfügen, mit denen die Mudjahedin sowjetischen Piloten das Fürchten lehrten. Auch politisch zeigen die Separatisten keine Bereitschaft, auf ihr Khalistan zu verzichten. Nicht nur entlang der indo–pakistanischen Grenze reagiert Neu Delhi indes mit hektischer Aktivität. Seit einer Woche spielen 3.000 Angehörige der indischen Bereitschaftspolizei und „black–cat“ Eliteeinheiten mit Sikh–Extremisten Katz und Maus um den goldenen Tempel von Amritsar. Im Allerheiligsten der 18 Millionen in Indien lebenden Sikhs halten sich schätzungsweise siebzig Menschen verschanzt. Selbst den höchsten Priester der Religionsgemeinschaft, Jasbir Singh Rode, an den sich noch Hoffnungen der Zentralregierung auf Verhandlungsmöglichkeiten knüpften, sollen die Militanten mit einer Schußsalve empfangen haben, als er sich anschickte, den Tempelbezirk zu betreten. Für Polizeichef Gill Anlaß genug, den gerade erst im April aus zweijähriger Internierung Entlassenen „zu seiner eigenen Sicherheit“ festzunehmen. Paramilitärischen Einheiten gelang es unterdessen, in den Tempel einzudringen. Sollten die katastrophalen Auswirkungen der Operation Blue Star im Sommer 1984, bei der 1.300 Extremisten und Soldaten getötet wurden, schon in Vergessenheit geraten sein?