Jugoslawien: ... und weiter im alten Trott

■ Staats– und Parteiverdrossenheit erreichen neuen Höhepunkt / Die Risse im „Bund der Kommunisten“ werden tiefer / Trotz Abwehr des Mißtrauensantrags kann die Regierung Mikulic die Wirtschaftsreform nicht entscheidend vorantreiben / Jugoslawien vor heißen Sommer?

Aus Budapest R. Hofwiler

Selbstsicher trat der jugoslawische Ministerpräsident in den letzten Tagen vors Mikrofon. „Wir werden die Inflationsrate noch in diesem Jahr von derzeit 150 Prozent auf 90 Prozent senken“, zitierte am Montag abend Radio Belgrad die Worte des Genossen Branko Mikulic. Einen Tag zuvor hörte man ihn im Parlament toben: „Wer die sozialistischen Errungenschaften in Frage stellt, der muß Farbe bekennen. Wer ein bürgerliches Mehrparteiensystem vorzieht, hat keinen Platz in unserem Bund der Kommunisten, der soll aus der Partei austreten.“ Diese Angriffe richtete der Bosnier an die slowenischen und kroatischen Parlamentsabgeordneten, die ihn am Wochenende mit einem Mißtrauensantrag von sei nen Regierungsgeschäften hatten entheben wollen. Der Antrag aus den beiden höchstentwickelten Republiken wurde zwar mit 64 zu 22 Stimmen abgelehnt, doch die Kluft zwischen Dogmatikern und Liberalen, zwischen Hardlinern und Reformern trat wie nie zuvor offen zutage. So fragte denn auch eine slowenische Zeitung: Wann spaltet sich unsere Partei? Ein kroatisches Blatt veröffentlichte eine Karikatur, in der ein Funktionär zum Volk spricht. Das wendet sich ab, nur einer aus der ersten Reihe hört sich die Rede an und antwortet: „Genosse, Du hast ja so recht, aber rede nicht mehr zu uns, wir können es nicht mehr hören.“ Zwar sind Staats– und Parteiverdrossenheit in dem Vielvölkerstaat an der Adria nichts Neues - allein im letzten Jahr verließen 70.000 Parteimitglieder die KP und 50.000 Arbeiter die staatlichen Gewerkschaften, doch daß es auf der Parlamentssitzung, die am Samstag begann und voraussichtlich morgen zu Ende gehen wird und auf der die Regierung ihren Rechenschaftsbericht zur Halbzeit vorlegte, zu keinen neuen Reformschritten kam, enttäuschte auch die pessimistischsten Beobachter. Für das Volk steht nur eines fest: In den nächsten Tagen werden die eingefrorenen Preise freigegeben werden und in die Höhe schnellen. Aber nicht um 90 Prozent, wie Mikulic suggeriert, sondern um 200. Wirtschaftsexperten wie der Zagreber Uniprofessor Branko Horvat prophezeien einen „heißen Sommer“; die Zahl der wilden Streiks - 1.400 im Vorjahr - könne sich schnell verdoppeln. Denn Mikulic habe mit dem Zickzackkurs sei nes „Stabilisierungsprogramms“ - zwischen Abbau und Wiedereinführung der Preiskontrolle, zwischen Einfrieren und Wiederauftauen der Löhne - die Wirtschaft mehr erschüttert als gefestigt, erklärte Horvat in einer Studie, die kroatische Abgeordnete dem Parlament vorlegten. Darin wird darauf gedrängt, 800 defizitäre Staatsbetriebe sofort stillzulegen. Aber welche Gemeinde will schon eine Fabrik schließen? Wohin mit den Menschen, die zu dem Heer der bereits registrierten 1,1 Millionen Arbeitslosen stoßen würden? Also werden der Betrieb weiter subventioniert und die Umsatzsteuer, Grundsteuer und vor allem die Besteuerung privater Handwerker verschärft. Das wiederum hat eine Welle von Abmeldungen privater Gewerbetriebe ausgelöst, und das stellt die angestrebte Ausweitung der „kleinen Wirtschaft“ und Schaffung neuer Arbeitsplätze in Frage. Wie diesen Kreislauf unterbinden? Horvat und vor allem slowenische Abgeordnete fordern mehr Pluralismus im politischen Leben. Sie ermunterten letzte Woche gar Bauern, eine oppositionelle Bauernpartei zu gründen. „Ideen, die mit dem Sozialismus nicht vereinbar sind“, hatte man mir zur gleichen Zeit bei meiner Abschiebung mit auf den Weg gegeben und mir beteuert, „Gedankenspiele wie die des Horvat“ hätten „keinen Platz im Selbstverwaltungssozialismus“. Vorerst die herrschende Meinung der jugoslawischen Nomenklatura - doch es mehren sich auch andere Stimmen, die sich nicht so leicht „abschieben“ lassen wie ein taz–Korrespondent.