Weiterbildung statt arbeitslos

■ Modell zum standortbezogenen Erhalt von Arbeitsplätzen in Baden–Württemberg / IG Metall trifft Vereinbarung mit Job–Killer Thomson Brandt: Ausbildungs– und Beschäftigungsgesellschaft statt Arbeitslosigkeit

Aus Stuttgart Dietrich Willier

Sieben Jahre lang hatte der französische Multi der Unterhaltungselektronik, Thomson Brandt, als Job–Killer kräftig zugeschlagen. Aufkaufen und wegrationalisieren hieß die Devise zur Marktbereinigung. Die Opfer im Südweststaat: Video Color, Saba, Dual. Seit zwei Monaten steht fest, daß auch aus der Villinger EWD (Elektronic–Werke–Deutschland) ein Teil der Produktion ausgelagert, und fast die Hälfte aller Arbeitsplätze abgebaut werden. Absolute Vorsicht, so der Stuttgarter IG Metall–Bezirksleiter Walter Riester, war geboten. Die modellhafte Alternative, Aus– und Fortbildung statt Arbeitslosigkeit, die nach dreiwöchigen Verhandlungen zwischen IG Metall, Betriebsrat und Thomson Brandt vereinbart wurde, ist bisher einmalig und kann sich sehen lassen. Neun bis zehn Millionen für die Abfindung von 450 Mitarbeitern waren im EWD–Sozialplan vorgesehen. Das Geld, so fand die IGM, sei besser angewendet für die Erhaltung beziehungsweise Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die pauschale gewerkschaftliche Forderung eines 50 Milliarden Mark Beschäftigungsprogramms, fand Walter Riester, sei zu abstrakt, konkrete betriebliche Modelle seien angesagt. Ab 1.Juni, und mindestens für zwei Jahre, so sehen die jetzt getroffenen Vereinbarungen vor, soll neben einem Industrie– und Technologie Park Villingen (ITM) für 350 EWD–Mitarbeiter eine Ausbildungs– und Beschäftigungsgesellschaft (AuB) gegründet werden. Aufgabe der ITM ist die Ansiedlung neuer Elektronik– Firmen in den stillgelegten Produktionshallen der EWD, und die Kooperation mit fachspezifischen Laboratorien und Ausbildungsstätten. Die AuD sorgt für vorübergehende Beschäftigung, für Ausbildung, Fortbildung und Umschulung und den nahtlosen Übergang auf neugeschaffene Arbeitsplätze. Für weitere 100 EWD–Mitarbeiter ist eine Vorruhestandsregelung vereinbart worden. Ganz ohne Aderlaß war das Modell laut IGM nicht durchsetzbar. Mitarbeiter, die das Angebot der Ausbildungs– und Beschäftigungsgesellschaft nicht annehmen wollen, sollen mit 80 Prozent aus dem Sozialplan abgefunden werden. Wer bleibt, erhält zukünftig 80 Prozent seiner bisherigen Bezüge. Immer noch 50 Prozent aus dem Sozialplan bekommen alle, die künftig neue Arbeitsplätze finden. Für sie bleibt trotz neuem Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis bei der AuB zur Absicherung erhalten. IGM–Bezirksleiter Walter Riester bedauerte am Montag nachmittag vor Pressevertretern, daß sich das Land Baden–Württemberg und die Stadt Villingen einer Beteiligung an dem Modell–Projekt verweigert hätten. Ähnliche Modelle zum örtlichen und regionalen Erhalt von Arbeitsplätzen, so Riester, seien in Zukunft ohne die öffentliche Hand nicht lösbar. Nach einer Studie im Auftrag der IGM, des Stuttgarter Wirtschaftsministeriums und der Stadt Stuttgart muß in den kommenden vier Jahren allein im baden–württembergischen Fahrzeugbau und der Elektroindustrie, wegen Rationalisierung und Umstrukturierung, mit dem Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen gerechnet werden. Über die Motive von Thomson Brandt, der getroffenen Vereinbarung zuzustimmen, darf spekuliert werden. Mag sein, so die IGM, daß der Multi von seinem Negativ–Image herunterkommen wollte. Können vor Ablauf der zwei Jahre die EWD–Werkshallen an neue Unternehmen vermietet, und für alle 350 AuB–Beschäftigten neue Arbeitsplätze geschaffen werden, dann reduziert sich für Thomson–Brandt auch die Gesamthöhe des Sozialplans. Bereits in der vergangenen Woche hatte das Ausbildungs– und Beschäftigungsmodell große Zustimmung bei der EWD–Belegschaft gefunden. Kommentar auf Seite 4