Zwischen dem Teufel und der tiefen, tiefen See

■ Seit fast zwei Jahren irrt eine Schiffsladung mit italienischem Giftmüll über die Meere / Der syrische Frachter „Zanoobia“ wird seine Ladung auch in Italien nicht los / Die Besatzung des Frachters befindet sich unter Quarantäne

Aus Marina di Carrara W. Raith

„Ich würde euch ja gerne etwas mitgeben“, sagt Halif, als wir die „Zanoobia“ nach zweistündigem Aufenthalt wieder verlassen,“aber außer den Pusteln am Körper und den vermaledeiten Fässern hier haben wir absolut nichts, was wir noch verschenken können.“ Dann grinst er breit: „Aber wenn jeder von euch Journalisten, die ihr euch über alles so entsetzt, jeweils eines der Dinger mitnehmen würde, wären wir den ganzen Scheiß in ein paar Stunden los.“ Da hat er wohl recht: Als wir mit drei Motorbooten wieder wegtuckern, nähern sich mindestens fünf, sechs andere dem Schiff, das da seit drei Wochen im Hafen von Marina Carrara festliegt. Uns beschleicht ein Gefühl kräftiger Scham: Im Gegensatz zu uns darf die Besatzung nicht an Land - mißtrauisch kontrolliert das um die „Zanoobia“ herumkurvende Polizeiboot alle abfahrenden Barken, ob sich nicht einer der 16 Syrer und zwei Libanesen mit an Bord geschmuggelt hat. Zu verstehen wäre eine Flucht sicherlich - die jüngsten der Besatzungsmit glieder sind 15, 16 Jahre alt - „unsere Eltern wissen noch nicht mal, wo wir sind“, sagt Mamur, „und die lassen uns nicht mal mit zuhause telefonieren“. So hoffen alle, daß der bislang einzige, den die Behörden aufgrund seiner Erstickungsanfälle in ein Krankenhaus gebracht haben, nun herumtelefoniert und Verwandte sowie die Behörden Syriens verständigt. Kapitän Ahmed Tabalo, 43, Bruder des Schiffseigners, kann „den ganzen Saustall hier überhaupt nicht verstehen: Die 2.000 Tonnen, die wir da herumkarren, sind italienischer Müll, den haben italienische Firmen in die Fässer gesteckt und auf betrügerische Weise in verschiedenen Ländern abzuladen versucht. Warum nehmen die ihren Abfall nicht zurück?“ Das ist die Frage. Fest steht, daß der Irrweg der Fässer - nach Erkenntnissen der Grünen zunächst an die 5.000 Tonnen - schon vor mehr als eineinviertel Jahren begonnen hat. Damals schickte die italienische Entsorgerfirma „Jelly Wax“ aus Mailand die Ladung in Richtung Saudi–Arabien - deklariert als Industriemüll, doch ohne nähere Angaben, um was es sich im einzelnen handelt. In verschiedenen Häfen wurdeneinige der Fässer geöffnet - und schnell wieder zugeschweißt, denn, so berichten Mitglieder des damals beauftragten Transportschiffes, „nach Angaben der Behörden handelte es sich um ganz anderes Zeug, als Jelly Wax angekündigt hatte“. Die Fässer wurden auf ein zweites Schiff umgeladen, das durch das Rote Meer hindurch nach Südafrika, dann nach Marokko ins Mittelmeer fuhr - stets auf der Suche nach Abladeplätzen. Unklar, ob auf der Fahrt bereits die 3.000 fehlenden Tonnen „abhanden“ kamen, oder ob auch der nächste Anlaufplatz in Syrien noch mit den 5.000 Tonnen konfrontiert wurde. Das Resultat jedenfalls war, daß die Syrer nach kurzer Kontrolle die Annahme ebenfalls verweigerten, die Fässer auf die „Zanoobia“ umluden und an den Absender zurückschicken wollten. Doch da waren Italiens Behörden blitzschnell: Kaum war die „Zanoobia“ im toskanischen Marina di Carrara eingelaufen, da war sie auch schon beschlag nahmt. Mittlerweile wachen nicht nur Polizisten darüber, daß der Müll nicht an Land kommt - auch eine weiträumig verteilte Truppe Öko–Militanter, strategisch angeführt vom Regionalabgeordneteten Enrico Falqui, „will mit allen Mitteln dafür sorgen, daß unsere Entsorger das Zeug nicht klammheimlich herunterholen und dann da hinter uns verbrennen...“ „Da hinter uns“ - das ist ein weiterer Stein des Anstoßes für die gesamte Bevölkerung von Massa Carrara - die Industrie–Giftschleuder Farmoplant, vor einem dreiviertel Jahr aufgrund eines Referendums geschlossen, per Gerichtsbeschluß wieder in Betrieb genommen, dann wieder geschlossen und nun angeblich auch von der Firmenleitung endlich fürs Begräbnis vorgesehen. „Aber den Dreck können die noch immerverbrennen“, sagt Falqui, „und dann regnet es Dioxin auf uns herab.“ Was in den Fässern der „Zanoobia“ genau drin ist, weiß noch immer keiner so genau; einige nun geöffnete Behälter haben neben allerlei organischem Abfall und Plastikzeug große Mengen hochgiftiger Farbstoffchemikalien erwiesen, die sich mit den andern Stoffen verbunden und ätzende Dämpfe freigesetzt haben. Der Gestank im Laderaum der „Zanoobia“ ist, trotz der ständig geöffneten Ladeklappen, so stark, daß keiner von uns ohne dauerhaften Husten vom Schiff herunterkommt - die Bronchienreizung hält über vier Stunden an. Merkwürdigerweise husten die Matrosen kaum - „deren Lungenbläschen sind wohl schon so kaputt, daß sie auf keinen Reiz mehr reagieren“, erklärt uns gefühlvoll ein Amtsarzt. Gegen Nachmittag verbreitet sich die Kunde, daß das Schiff nun nach Genua weitergeleitet werden soll; wozu, weiß niemand. Denn niemand hat sich bereiterklärt, die Fracht zu verbrennen, und auch dort stehen die Umweltschützer schon bereit, um jede Entladung zu verhindern. „Vielleicht“, brummt ein ob der Kunde von der Abfahrt eher vergnügter Polizeibeamter, „haben sie wieder mal Mannesmann Italia eingeschaltet. Mannesmann Italia ist die Firma, die vor elf Jahren die Dioxin–Fässer nach der Giftgaskatastrophe von Seveso übernommen und ins Ausland geschafft hat.