Kabinett auf CSU–Repressionskurs

■ Innere Sicherheit: Die Bonner Regierung verabschiedet das Artikelgesetz, das Zimmermann wollte / FDP brach in allen wichtigen Teilen des Gesetzentwurfs ein / Vermummung künftig Straftatbestand / Auch Aufruf zur Teilnahme an verbotenen Demos unter Strafe

Bonn/Berlin (dpa/taz) - Eine weitere Drehung an der Repressionsschraube aus dem Bonner Kabinett: Mit einem geringfügigen Vorbehalt der FDP hat die Bundesregierung gestern ein Artikelgesetz zum Bereich Innere Sicherheit verabschiedet. Das Werk ist das Ergebnis eines Vorstoßes von Innenminister Zimmermann und angeblich eine Konsequenz aus den tödlichen Schüssen an der Startbahn West im letzten November. Unmittelbar nach den Morden in Frankfurt hatte Zimmermann bereits eine drastische Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts gefordert und die Gunst der Stunde genutzt, um erneut auf die Einführung einer „Kronzeugenregelung“ zu drängen, die ein Jahr zuvor noch an der FDP gescheitert war. In beiden Punkten sind die Innen– und Justizpolitiker der FDP diesmal fast vollständig eingebrochen. Hatte der innenpolitische Sprecher der FDP, Burkhard Hirsch, nach den Startbahnschüssen Zimmermann noch vorgehalten, er könne nicht erkennen, inwiefern eine Strafdrohung für Vermummung die Morde hätte verhindern können, so zeigt der jetzt vom Kabinett verabschiedete Entwurf, daß Zimmermann seine Vorstellungen komplett durchsetzen konnte. Zukünftig soll Vermummung nicht mehr als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftatbestand geahndet werden, der die Polizei zwingt einzuschreiten. Dies gilt nicht nur im Rahmen von Demonstrationen, sondern bereits für das Mitführen von „Vermummungsgegenständen auf dem Weg zu öffentlichen Versammlungen“. Außerdem wird die Aufforderung zur Teilnahme an einer verbotenen Demonstration unter Strafe gestellt. Diese Gesetzesveränderungen sind selbst innerhalb der Polizei heftig umstritten, da sie der Polizeiführung die Möglichkeit nehmen, ihr Eingreifen an der konkreten Situation zu orientieren. Einschränkend hat die FDP zu Protokoll gegeben, es müsse sichergestellt werden, daß Foto–, Film– und Videoaufnahmen von Demonstrationen vernichtet werden, soweit sie nicht der konkreten Strafverfolgung dienen. Damit will die FDP dem Argument vorbeugen, Demonstrationsteilnehmer müßten sich schon deshalb vermummen, weil sie sonst in irgendwelchen Polizeidateien landen. Als rechtlich besonders umstritten gilt auch das Vorhaben, den Haftgrund der Wiederholungsgefahr für den Tatbestand des schweren Landfriedensbruchs einzuführen. Bislang gab es Wiederholungsgefahr als Begründung für eine U–Haft nur im Zusammenhang mit Sexualdelikten. Mit der Neuregelung zielt die Bundesregierung offenbar auf sogenannte „reisende Chaoten“, die bereits im Polizeicomputer gespeichert ... Fortsetzung auf Seite 2 ...sind und denen deshalb eine Wiederholungsgefahr unterstellt wird. Das Vorhaben ist verfassungsrechtlich heftig umstritten, da es die gesetzlich garantierte Unschuldsvermutung faktisch unterläuft. Auch bei dem nun bis Ende 1991 befristet einzuführenden Kronzeugen hat die FDP faktisch kapituliert. Zwar ist die in der Öffentlichkeit hochgespielte Frage: Dürfen Mörder straffrei ausgehen“, anscheinend in ihrem Sinne geregelt worden - der Entwurf sieht, daß bei Mord maximal eine Strafminderung bis zu drei Jahren vor, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden können - tatsächlich aber hat es der Bundesanwalt in der Hand, ob er überhaupt wegen Mordes anklagen will. Denn ob von einer Strafverfolgung abgeshen wird, entscheidet die Bundesanwaltschaft im Einvernehmen mit einem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs, der in der Praxis immer die Vorgaben der Bundesanwaltschaft absegnet. Dies bedeutet im Klartext: Allein die Bundesanwaltschaft entscheidet darüber, ob sie jemanden als Kronzeugen aufbaut und dann auch entsprechend deckt, ohne daß später das zuständige Gericht noch die Möglichkeit erhält, diesen Kronzeugen zu überprüfen. Das gesamte Paket wird komplettiert durch fünf weitere Strafvorschriften, deren gravierendster der Angriff auf die Presse– und Meinungsfreiheit darstellt. Die Einführung einer Strafvorschrift gegen die „öffentliche Befürwor tung von Straftaten“ öffnet dem Gesinnungsstrafrecht Tür und Tor, da es im Belieben der Strafverfolgungsbehörden steht, ob zum Beispiel eine Publikation durch ihr gesamtes Erscheinungsbild dazu geeignet ist, Straftaten zu befürworten. Es muß nicht mehr nachgewiesen werden, daß z.B. ein bestimmter Artikel definitiv zu Straftaten auffordert. JG