Wallmanns „Knallgasreaktion“

■ Hessens Ministerpräsident Wallmann sagt vor Bonner Atomausschuß aus / Wallmann will den Verdacht auf Bruch des Atomwaffensperrvertrages nicht an die Öffentlichkeit gebracht haben

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Der hessische Ministerpräsident Walter Wallmann will den Verdacht auf Bruch des Atomwaffensperrvertrags nicht als erster an die Öffentlichkeit gebracht haben. Vor dem Bonner Untersuchungsausschuß zum Atomskandal sagte Wallmann gestern, einzelne Abgeordnete hätten bereits Kenntnis von diesem Verdacht gehabt, bevor er selbst ihn im hessischen Umweltausschuß öffentlich aussprach. Die SPD wertete diese Aussagen als „krampfhaftes Ablenken von der eigenen Verantwortlichkeit“. Wallmann informierte an jenem 14.Januar zunächst die für Nukem und Transnuklear zuständigen Aufsichtsratsmitglieder Liebmann, Spalthoff und Schmidt, erst später Kanzler Kohl; mit dem für Atomaufsicht zuständigen Bundesminister Töpfer sprach er als letztem. Dem Ministerpräsidenten will auch heute noch nicht „der Gedanke kommen“, daß die Ermittlungen durch die Vorab–Information der potentiellen Chef–Täter in der Firmen– Spitze hätten erschwert werden können. Warum Wallmann, der früher immer überzeugt war, daß in Hanau „kein Gramm“ Spaltstoff abgezweigt werden könne, im Januar plötzlich eine Proliferation - ohne konkrete Belege - für möglich hielt, blieb im Dunkeln. Zur Erklärung, weshalb er sich nicht einmal nach Beweisen für den Verdacht erkundigt habe, verwies Wallmann mehrmals auf Weimar. Der Umweltminister hatte vage Andeutungen über Recherchen durch den Journalisten Kassing erhalten, aber der Staatsanwaltschaft offensichtlich eine dramatisierte Version des Proliferationsverdachts mitgeteilt. Weimar wird heute vom Untersuchungsausschuß vernommen. Der Grünen–Politiker Joschka Fischer bezeichnete im Zeugenstand das damalige Verhalten Wallmanns als „intellektuelle Knallgasreaktion“. Aus „einem nichtigen Anlaß“ habe der Ministerpräsident „den Vorhang vor der internationalen Schieberszene weggerissen“. Das eigentliche Problem, was in den bei Transnuklear gefundenen 50 Fässern sei, wäre damit zugedeckt worden. Fischer: Bis heute ist unklar, warum Nukem eigentlich geschlossen wurde“.