NRW–Atomanlagen in Top–Zustand

■ Mit vierzehnmonatiger Verspätung wird das nordrhein–westfälische Wirtschaftsministerium in Kürze die Ergebnisse einer landesweiten „Sicherheitsüberprüfung“ vorlegen Teilgutachten des TÜV bescheinigen THTR und Würgassen einen Top–Zustand

Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Erste Ergebnisse einer „Sicherheitsüberprüfung“ von nordrhein–westfälischen Atomanlagen in Würgassen, Hamm–Uentrop, Jülich und Gronau werden mit vierzehnmonatiger Verzögerung im Juni veröffentlicht werden. Dies kündigte Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) am Dienstag an. Im Gegensatz zu früher ist nach Informationen der taz davon auszugehen, daß die Landesregierung, die den Termin für eine Publikation des Gutachtens seit Herbst 1986 sechsmal änderte, jetzt ihre Ankündigung realisiert. Es wird die SteuerzahlerInnen rund zehn Millionen DM kosten, zu erfahren, daß die Atomanlagen weder stillgelegt noch sicherheitstechnisch in gravierendem Umfang nachgerüstet werden müssen - auch wenn ein Minderheitsvotum wahrscheinlich anderes nahelegen wird. Bisher konnte dieses für Insider wenig überraschende Ergebnis nur anhand der vom NRW–Wirtschaftsministerium ausgewählten Gutachter - acht mehr oder weniger einschlägig bekannte Atomkraftbefürworter, ein Kritiker - vermutet werden. Nunmehr scheint es eine Tatsache, obgleich der Auftraggeber, Minister Reimut Jochimsen (SPD), alle Beteiligten zu striktem Stillschweigen über sein „bundesweit einmaliges“ Projekt verdonnerte. Verschiedene Teilgutachten und der taz vorliegende Stellungnahmen bescheinigen insbesondere dem AKW Würgassen und dem Thorium–Hochtemperaturreaktor in Hamm einen Top–Zustand. Davon ist offenbar auch die Düsseldorfer Aufsichtsbehörde überzeugt. „Die bisherigen Ergebnisse der Sicherheitsüberprüfung“, so ein Sprecher des Ministeriums zur taz, „liefern keine Handhabe zum unmittelbaren Eingriff in den Betrieb der Anlagen.“ Damit sind die vorliegenden Teilgutachten gemeint. Es fehlt nur noch die Stellungnahme des Generalunternehmers (Hauptgutachters) Elektrowatt (zweitgrößter Atomkonzern der Schweiz und vorgesehen für Beteiligungen an den Planungen des Nachfolgemodells für den Hammer THTR), dessen Mannheimer Ingenieure auf einer Studie des TÜV Rheinland seit Juni vergangenen Jahres sitzen. Die anderen Teilgutachten trudelten ab Herbst ein, das letzte kam vor wenigen Wochen. Schwer hatte es insbesondere Prof. Dr. Jochen Benecke, dem das Ministerium auf sanften Druck der Betreiber hin mit fadenscheiniger Begründung untersagt hatte, die einzig profilierten THTR–Unsicherheitsexperten vom Darmstädter Öko–Institut zu engagieren. Benecke ist der einzige Gutachter, der sich durch eine Gegenstudie zu Kalkar als Atomkraftkritiker ausgewiesen hat. Ihm stehen drei TÜVs, drei Wissenschaftler und zwei aus Genehmigungsverfahren bekannte Ingenieurbüros gegenüber. Eins davon bekannte gegenüber der taz ganz offenherzig: „Wir hatten Glück. Der THTR und der Allgemeine Versuchsreaktor in Jülich sind ja eine Ausgeburt von Sicherheit. War doch klar, daß wir nichts gravierendes gefunden haben.“ Genauso klar offenbar ist die Sache für die beteiligten TÜVs Rheinland und Hannover. Sie ließen im März über das Ministerium eine anonym gehaltene „Zusammenstellung von sicherheitstechnisch relevanten Fachfragen und Problemen zum kernkraftwerk Würgassen“ verbreiten. Zwar bestätigt der Bericht einige der bekannten Sicherheitsmängel des ältesten Siedewasserreaktors der Republik wie z.B. mangelnden Schutz des Reaktorgebäudes vor Flugzeugabstürzen oder die im Vergleich zu anderen AKWs 100– bis 1.000fach erhöhten radioaktiven Emissionen. Doch die TÜVs, 15 Jahre lang an dem nach Ansicht der Grünen „skandalösen Genehmigungsverfahren“ beteiligt, wischen in ihrem 100 Seiten starken Papier sämtliche Bedenken vom Tisch. Es gäbe „keine Mängel, die eine Stillegung der Anlage erfordern würden“. Ungerührt von der laufenden Klage und den Forderungen der Städte Hofgeismar und Göttingen sieht auch die Düsseldorfer Aufsichtsbehörde „keine Veranlassung zu Sofortmaßnahmen“, wie Jochimsen am Dienstag anläßlich der Genehmigung eines zusätzlichen Netzanschlusses „zur Verbesserung der Notenergieversorgung des Kernkraftwerkes Würgassen“ mitteilte. Und Jochimsens Parteigenossen, völlig mit dem Brüter–Streit überfordert, haben offenbar alle anderen Atomanlagen in NRW vergessen. Das gilt auch für diejenigen, die - kaum wahrnehmbar - sich selbst zum linken Flügel der nordrhein–westfälischen SPD rechnen. Kein einziger von ihnen stand beim letzten Parteitag im Oktober 1987 auf, um den Genossen Wirtschaftsminister zur AKW–freundlichen Auswahl der Atomgutachter wenigstens zu befragen. Ein Antrag, der sicherstellen wollte, daß „wir die Genehmigung für den THTR nur erteilen“, wenn die „Gerichte uns zwingen“ blieb ohne Resonanz. Das Schicksal dieser Reaktorlinie, die Wirtschaftsminister Jochimsen bisher mit keiner Silbe in Zweifel gezogen hat, überließ der Parteitag der „Sicherheitsüberprüfung“. Still und genügsam wartet die SPD auf deren Ergebnis. Den Grünen indes fällt auch nicht viel mehr ein. Bundespartei und Landesverbände streiten verhalten über Geld für Gegengutachten, insbesondere zum THTR 300, dessen Dauerbetriebsgenehmigung für 1990 ansteht, und der von der Atomgemeinde favorisierten Linie des kleineren, exportfähigen Modul–Reaktors HTR 100. Das Öko–Institut Darmstadt hat verschiedene Vorschläge und Forderungen genannt, aber weder in der Bundestagsfraktion noch bei den NRW–Grünen sieht man Anlaß zu raschem Handeln.