Zwangssterilisation für Behinderte?

■ Die Grünen diskutierten gestern die geplante Möglichkeit einer Zwangssterilisation von Behinderten

Das Justizministerium hat ein neues Vormundschaftsrecht zur Diskussion vorgelegt. Es enthält einen Paragraphen, der die Zwangssterilisierung „Nicht–Einwilligungsfähiger“ vorsieht. „In Bonn waren wir uns nach eingehender Aussprache darüber klar, daß es ein unsinniges Ding sei, heute Menschen als durch dieses Gesetz (zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von 1933, d.Red.) zu Unrecht Behandelte zu entschädigen, und vielleicht morgen in die Notwendigkeit gesetzt zu sein, dieselben Menschen unter ein neuesEugenikgesetz zu stellen.“ Der Leiter der Anstalt Bethel von Bodelschwingh fand Gehör: Menschen, die in der NS– Zeit zwangssterilisiert wurden, sind als NS–Opfer nicht anerkannt.

„Es gibt keinen Bedarf für die Möglichkeit einer Zwangssterilisation.“ Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie, Klaus Dörner, war auf dem gestrigen ExpertInnengespräch der Grünen sogar bereit, dem Menschen, der einen einzigen Fall benennt, der diese Aussage widerlegt, 1.000 Mark zu zahlen. Ingrid Häusler, selber grüne Kommunalpolitikerin und Mutter eines 15jährigen autistischen Kindes, ging auf dieses Angebot zwar nicht ein, bezog in ihrem Redebeitrag aber eine deutlich kontroverse Position: Die Sterilisierung auch ohne Einwilligung der Betroffenen müsse in bestimmten Fällen möglich sein. „Mein Sohn könnte sich z.B. in den Wunsch, ein Kind zu bekommen, reinsteigern - es bliebe aber ein Wunsch, der völlig fernab jeder realen Moglichkeit wäre, weil er mit Kindern gar nicht umgehen kann, weil er sich die konkreten Folgen gar nicht vorstellen kann. Ich weiß, daß er da nicht einsichtsfähig ist, weil ich ihn kenne.“ Eine Position, die vor allem von anwesenden Behinderten scharf kritisiert wurde: „Das klingt wie von meiner Mutter - aber das, was ich und was andere Behinderte wollen, können nur wir selber wissen. Von dem, was unsere Mütter sich vorstellen, was gut für uns ist, ist das oft weit entfernt“, wandte eine Frau aus dem Publikum unter Beifall ein. Die Debatte um das Selbstbestimmungsrecht Behinderter - und um nichts anderes geht es bei der Auseinandersetzung um die Möglichkeit zur Zwangssterilisierung - ist nicht frei von Emotionen zu führen. Deswegen wohl stieß vor allem der kurze Erfahrungsbericht der während des Faschismus zwangssterilisierten Klara Nowak auf; in diesem Fall wenigstens macht die sonst so abgegriffene Vokabel Betroffenheit Sinn - und ließ mehr als alle anderen Beiträge nachvollziehbar werden, wie verheerend die aktuelle Idee, ein Sterilisationsgesetz zu verabschieden, ist: „Wir sind heute noch nicht frei von diesem Gefühl, durch den Eingriff als lebensunwerter Mensch diskriminiert worden zu sein.“ Knapp aber eindringlich beschrieb Klara Nowak, daß eine Zwangssterilisierung eben sehr viel mehr als nur ein Eingriff ist, der die Zeugungsfähigkeit zerstört. Noch heute gingen viele der damals Sterilisierten - berichtet sie - aus Angst vor der Frage, woher denn die Narbe komme, ungern zum Arzt. „Da bleiben Gefühle, die kann man kaum in Worte fassen.“ Michael Wunder von der Bundesarbeitsgemeinschaft „Soziales und Gesundheit“ der Grünen brachte die Diskussion, die zwischendurch abzuschweifen drohte, auf die Frage: „Wie steht es denn mit der Sexualität geistig Behinderter?“ wieder auf den politischen Punkt: Es gehe nicht darum, die Sexualität geistig Behinderter zu erkunden, für möglich oder unmöglich zu halten, sie müsse akzeptiert werden. Vor 20 Jahren habe niemand geistig Behinderte in Schulen gehalten, heute sei Unterricht für geistig Behinderte etwas ganz Normales. Vor zehn Jahren noch seien Wohngruppenmodelle oder gar Modelle für das Alleine–Leben geistig Behinderter als unmöglich verworfen worden, heute gehörten sie für viele zum Alltag. Ähnlich müsse heute dafür gearbeitet werden, daß die Sexualität und der Kinderwunsch geistig Behinderter nicht als etwas Außergewöhnliches behandelt würden. „Wenn es gelingt, in der Gesellschaft Erfahrungen in diesem Bereich bekannt zu machen, dann können sich die Betroffenen auch hier ihr Terrain erobern.“ Kritik an dem Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium wurde auf dem ExpertInnengespräch auch von seiten der „Bundesvereinigung Lebenshilfe für geistig Behinderte e.V.“, in der viele Eltern von Behinderten organisiert sind, geübt: Die Lebenshilfe, die Anfang der siebziger Jahre noch für ein weit auslegbares Gesetz eingetreten war, hat ihre Position in dieser Frage geändert. Sie hält zwar nach wie vor eine gesetzliche Regelung zur Sterilisierung für sinnvoll, lehnt aber die vom Justizministerium vorgeschlagene Anlehnung der Indikationsmöglichkeiten an die Indikationen des Paragraphen 218a Strafgesetzbuch entschieden ab und fordert eine sehr viel restriktivere Fassung. Außerdem entspreche die Position des Justizministeriums, daß in der Regel die Sterilisierung im Vergleich zum Schwangerschaftsabbruch das kleinere Übel sei, nicht den Erfahrungen der Lebenshilfe. Oliver Tolmein