Positiv: „Berlin küßt München“

■ Zweites europäisches HIV–Positiven–Treffen 3.000 Menschen demonstrierten in der Innenstadt

Aus München Klaus Weise

„München ist stolz auf seine Liberalität“, teilte der CSU–Wirtschaftsbürgermeister Winfried Zehetmeier bei einem offiziellen Empfang der Landeshauptstadt seinen Gästen mit. Die 20 geladenen Teilnehmer des 2.internationalen Treffens HIV–Positiver hatten soeben die Liberalität der weiß–blauen Metropole selbst erlebt. Fünf Taxen hatten die Veranstalter des Pfingst–Treffens, die Positivengruppe der Münchener Aidshilfe, geordert. Trotz Reklamation kam kein einziges Taxi. Die Taxizentrale ließ durchblicken, daß Virusträger als Fahrgästge unerwünscht sind. Die Idee, sich selbstbewußt in der Höhle des Löwen zu treffen, war beim ersten internationalen Positiven–Treffen in London entstanden. „Kurz zuvor war der bayerische Aidsmaßnahmenkatalog beschlossen worden“, erinnert sich Dieter Bolle von der britischen Gruppe „body positive“. „Da haben wir uns gesagt, raus aus den Hinterzimmern. Wir gehen an die Öffentlichkeit.“ Am Solidaritätszug zum Pfingstsonntag beteiligten sich 3.000 Menschen. Unter den Sambarhythmen der „Münchner Ruhestörung“ tanzte die Demo durch die Münchner Innenstadt. Ungezählte Luftballons, aufgeblasene Kondome und die regenbogenfarbigen Solidaritätstransparente symbolisierten „positive“ Vibrations. „Berlin küßt München“ stand auf einem Transparent. Fortsetzung auf Seite 2 An der Spitze des Zuges marschierte Kaplan Stefan Weggen, der beim Solidaritätsgottesdienst gepredigt und die Kirche scharf kritisiert hatte. „Das Virus bedroht nicht die kirchliche Moral, sondern die Gesundheit der Menschen, die Kirche muß endlich mit der Enttabuisierung der Homosexualität beginnen.“ Ein buntes kulturelles und politisches Begleitprogramm präsentierten die „Positiven“ in München. Anders als bei vielen bisherigen Veranstaltungen zum Thema Aids, wo das Auftreten „Betroffener“ zum festen Inventar gehörte und Positive und Kranke oft schutzlos dem Voyeurismus und entsprechenden Fragen von Todesängsten (“Wie ist das eigentlich mit dem Tod für Sie?“) bis zu Sexual–Praktiken (“Wie sieht denn jetzt ihr Sexualleben aus?“) ausgeliefert waren, wurde in München die Grenze gezogen. Die Arbeitsgruppen zur Lage der HIV–Positiven tagten unter Ausschuß der Öffentlichkeit. Während Rita Süssmuths Bundesgesundheitsministerium das Treffen mit 60.000 Mark unterstützte, behinderten die bayerischen Behörden das Treffen mehrfach. Die Anmelderin des Demonstrationszuges wurde von der Behörde abgewiesen, weil sie selbst HIV–positiv ist. „Frau B. ist aus dem Kreisverwaltungsrat erst kürzlich bekanntgewordenen gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, die gemeldete Versammlung ordnungsgemäß zu leiten“, schrieb die Ordnungsbehörde der Anmelderin. Frau B. solle durch eine „gesündere“ Person ersetzt werden. Woher das Kreisverwaltungsreferat seine Informationen über den vermeintlichen Gesundheitszustand von Frau B. hatte, ergaben Recherchen der Grünen: „Die Information wurde einem Dossier entnommen, welches das Innenministerium dem Kreisverwaltungsreferat zur Verfügung gestellt hat“, erklärte Dr. Reif, Hauptabteilungsleiter im Kreisverwaltungsreferat, gegenüber den Grünen. Die übrigen Drohgebärden der bayerischen Behörden wurden nicht vollzogen: Behinderungen und Abweisungen an den Grenzen wurden nicht bekannt. Die Polizei, die den Infizierten mit „Gummihandschuhen und fester Kleidung“ gegenübertreten wollte, hielt sich im Hintergrund. „Wir sind mutig - Wir bleiben mutig - Wir werden anderen Mut machen“, hieß es bei der Abschlußkundgebung in zwölf Sprachen. Auch die bayerische Übersetzung wurde vorgetragen. „Damit“, so Heiner Jarchow von der Stiftung „positiv leben“, „auch in Bayern endlich gehört wird, was aller Welt bekannt ist.“