Spielball von 180 Einzelinteressen

Es ist ein ebenso gewöhnliches wie grundlegendes Prinzip von Unternehmensführung, sich verschiedener Techniken und Strukturen zur Optimierung des Unternehmenszieles zu bedienen. Den Hintergrund aller denkbaren Strukturen liefert der fortwährende Versuch, Individuen selektiv nutzbar zu machen: Störquellen für die Leistungsfähigkeit des Einzelnen sollen ausgeschaltet und „produktive“ Eigenschaften insofern entwickelt werden, wie sie für Unternehmensziele nutzbar sind. Von der Zuteilung einzelner Handgriffe über das Einräumen spezifischer Kompetenzen am Arbeitsplatz bis hin zur Installation von Erfolgserlebnissen reicht die Palette der Maßnahmen - gestützt durch Sanktions– und Belohnungsregeln. Selbstverwaltete Betriebe wie die taz leben zu einem erheblichen Teil aus der Hoffnung, den selektiven Einsatz arbeitender Menschen abzumildern. Die Entwicklungsgeschichte dieser Betriebe, insbesondere der taz, zeigt aber, daß die ganzheitlichen Individuen eine Strukturlosigkeit produziert haben, die ziemlich genau das Gegenteil von den Verhältnissen in konventionellen Unternehmen beinhaltet. Die taz ist Spielball von 180 Einzelinteressen, nicht umgekehrt. Selektiert wird das „Unternehmensziel“: Es wird insoweit eine gemeinsame Zeitung produziert, als dies zum Erhalt des Spielballs notwendig erscheint. Die persönliche Durchsetzungsfähigkeit vieler Einzelner haben das Raumschiff taz bald in diese, bald in jene Richtung driften lassen - inhaltlich wie ökonomisch. Spielball und Arbeitsplätze ließen sich ja immerhin durch den wirtschaftlichen Erfolg des Blattes erhalten. Nur reicht der Wunsch nach Erhalt nicht als Projekt–Strategie aus. So bedingten sich bisher Struktur– und Ziellosigkeit gegenseitig. Leute, die die Zeitung weiterentwickeln wollten, hat es bei der taz immer gegeben. Die neuen Strukturen bieten zumindest die Möglichkeit für die Ausarbeitung von Strategien und Perspektiven. Erhellend ist immerhin, daß eine Reise abgehen soll. Ob die Reise wirklich stattfindet und wer mitfährt, ist eine ganz andere Frage: Knapp zehn Jahre Strukturlosigkeit und gelebter, eitler Individualismus lassen Verteidigungskämpfe für den Status quo erwarten. Die gewünschte Klärung von Kompetenzen, Zuständigkeiten und Verantwortung wird zunächst die Arbeitsbedingungen - nicht nur der Leute in den Gremien - erschweren, bevor die Früchte geerntet werden können. Die Tätigkeit der Gremien nährt sich aus dem Idealismus des Veränderungswillens. Wie stark der bei den Führungspersönlichkeiten ausgeprägt ist, wird sich zeigen. Hier ist eine Mischung von Proporz, Delegation, Rückversicherung und Veto aufgebaut worden, die für die Führung des Projekts viel zu schwerfällig erscheint. Zwar läßt sich nachvollziehen, warum aus Verlustängsten jede Menge Quer– und Rückversicherungen eingebaut sind (damit eben das neue Modell auf breite Akzeptanz im Betrieb stößt) - es löst aber doch die Befürchtung aus, daß nicht Chaos beseitigt, sondern bürokratisierend delegiert werden wird. Heinz Bollweg (Heinz Bollweg war von 1980–1983 im taz–Büro tätig und arbeitete dann bis Ende 1987 als Geschäftsführer bei dem Belegschaftsunternehmen AN–Maschinenbau in Bremen) tazintern