180 Selbstverwalter suchen Sündenböcke

■ Oder auch: Eine kleine Riege machtgeiler Möchtegern–Kapitalisten will Belegschaft knechten

Wie auch immer: Die taz, größter selbstverwalteter Betrieb der BRD, hat sich nach fast zehn Jahren einer strafferen Organisationsstruktur verschrieben, um jenseits der Alltagsproduktion besser planen zu können. Je zwei Vertreter aus Redaktion, Verwaltung und Technik erhalten Weisungsbefugnisse bzw. Vetorechte.

Ist das der Zeitgeist? Die taz, bundesweit zwar größter Betrieb in Selbstverwaltung, aber noch nicht einmal zehn Jahre alt, richtet sich eine Chefetage ein. Wer die beziehen wird, darüber muß noch entschieden werden. Sicher ist nur: Sie ist nötig. Das zumindest meinten gut zwei Drittel des „Nationalen Plenums“, einer Art Betriebsversammlung aller in der taz fest Angestellten sowie der Mitglieder des Trägervereins „Freunde der alternativen Tageszeitung“. Daß die tageszeitung mit einer Leitungsriege - jeweils zwei VertreterInnen aus Redaktion, Produktion und Verwaltung - noch alternativ ist, daran hatten am vergangenen Wochenende einige ihre Zweifel. Denn: Obwohl in gestelztem taz–Deutsch als „Freigestellte“ bezeichnet, werden diese sechs über etwas verfügen, das in diesem Betrieb zumindest offiziell noch keine/r hatte - Weisungsbefugnis. Und das riecht nach Macht und dazugehörigem Machtmißbrauch, nach Anordnung, Befehlston. Entsprechend hörten sich die Befürchtungen im Rahmen einer mehrstündigen Diskussion an. Sah sich eine Mitarbeiterin schon bald „wie in der Klitsche um die Ecke“ schuften, drohte für einen anderen demnächst ein Betriebsklima „wie bei IBM“. Dennoch wollte niemand, daß es in der taz so bleibt, wie es derzeit ist. Allen war klar: Eine Tageszeitung mit nun schon fast 200 MitarbeiterInnen kann nicht so arbeiten und kann nicht auf eine Weise Entscheidungen fällen wie ein fünfköpfiges Bäckerei–Kollektiv. Vor allem in Konfliktsituationen, wenn, wie in einer Tageszeitungs– Produktion üblich, auch schwierige Fragen möglichst schnell geklärt werden müssen, scheitert die taz an ihren eigenen Strukturen. Über den letzten Fall wurde erst gestern berichtet: Eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gegen einen taz–Redakteur der Berliner Lokalausgabe kam im Kompetenzdschungel von Redaktion, Koordinatoren, Bereichs– und sonstigen Plena von Leuten, die allesamt mitreden und mitentscheiden wollen, nicht zustande. Ob die einzurichtende Leitungs– Crew in einem solchen Fall „richtig“ entschieden hätte? Falls nicht, würde eintreten, was ein westdeutscher Korrespondent am Wochenende so ausdrückte: „Dann weiß ich jedenfalls, wen ich anscheißen kann!“ Und: Sollte der Verdruß über einzelne Chefs oder gar das gesamte Gremium steigen, können sie abgewählt werden. „Das macht den Unterschied aus zur Klitsche um die Ecke und zu IBM“, erkannte einer der zeitweise weit über 100 TeilnehmerInnen des Treffens. Dennoch: Für eine recht starke Minderheit der taz–Beschäftigten stellt die Einrichtung des Leitungsgremiums das Ende alternativer Arbeitsweise dar. Der Hintergrund dieses Mißtrauens ist der in der taz umzusetzen gewesene Anspruch auf eine Verhinderung von Arbeitsteilung, der Umstand, daß außer den Redaktionsmitgliedern kaum jemand die Möglichkeit hat, auf die inhaltliche Gestaltung der Zeitung Einfluß zu nehmen. Erreichen die AutorInnen mit ihrer journalistischen Arbeit wenigstens eine Annäherung an Selbstverwirklichung, suchen die Beschäftigten aus den anderen Bereichen die Identifikation mit der Arbeit im Projekt taz selbst. Denn: Setzen, Layouten, Bilanzen erstellen oder Vertriebspläne organisieren könnten man und frau auch woanders und für viel mehr Geld. Was steht im Vordergrund: Das Produzieren einer Zeitung oder das Organisieren möglichst herrschaftsfreier Arbeitsverhältnisse in einem selbstverwalteten Projekt? Das ist wohl die Kernfrage, vor der Konflikte in der taz zu verstehen sind. Daß weite Teile der Redaktion sich von ebenso weiten Teilen der Produktion auch politisch entfernt haben, scheint dabei eher von sekundärer Bedeutung. Vielen „HandarbeiterInnen“ paßt schon lange nicht mehr, was die „Kopfmenschen“ aus den Redaktionen schreiben. Die dem Leitungsgremium zu gestandene Weisungsbefugnis erstreckt sich jedoch nicht auf die politische Ausrichtung der Zeitung, die unterliegt auch weiterhin ausschließlich der Verantwortung der Redaktion. Dazu würden die sechs Personen allein zeitlich auch nicht kommen. Schließlich soll sich ihre Arbeit auf die Koordination der verschiedenen Bereiche und das Erarbeiten von Innovationen erstrecken. Völlig losgelöst (freigestellt) vom Streß der täglichen Produktion, sollen sie die Erwartung der Belegschaft erfül len, über den taz–täglichen Tellerrand hinauszuschauen, als eine Art „think tank“ langfristige Entwicklungen zu diskutieren und - basisdemokratischer - mehrheitsfähig zu machen. Die Hoffnungen an die noch zu bildende Crew sind mannigfach. Vor allem: Sie müssen Ansprechpartner für die großen und kleinen Probleme und Ideen sein, müssen den Schreibenden, Layoutenden, Rechnenden Arbeit im Rahmen der Betriebsorganisation abnehmen. Denn: Der bisherige Zu stand ist für viele unerträglich. „Ich habe ein Kind im selbstverwalteten Kinderladen, eins in der selbstverwalteten Krabbelstube und selber arbeite ich in einer selbstverwalteten Zeitung“, berichtete einer, um dann sein drängendstes Problem zu benennen: „Wann soll ich eigentlich noch leben?“ Es ist kein Individualproblem, man muß den (langjährigen) taz–Typen nur ins Gesicht schauen - da sind nicht nur die Schläfen grau, und die tiefen Gruben in den Gesichtern kann niemand mehr als Lachfalten verharmlosen. Die bisherige Art der Selbstverwaltung in einem so großen Betrieb frißt die Leute mit Haut und Haar und ist der Hauptgrund für die immense Fluktuation in der Belegschaft. Die Entscheidung für eine Chefetage hat eine lange Vorgeschichte - der Zeitgeist kann also kaum Pate gestanden haben. Vielleicht ja der Heilige Geist: Termin des Beschlusses war immerhin Pfingstsonntag. Aber wer mag daran schon glauben. Axel Kintzinger