Heiße „Atom“–Kartoffel in Gorleben

■ Erörterungstermin für Konditionierungsanlage in Gorleben wegen Befangenheitsantrag unterbrochen / „Schlupfloch“ für atomare Problemabfälle / Gegner der Anlage: Reine Schauveranstaltung der Veranstalter / Sicherheitsbericht glänzt durch Lückenhaftigkeit

Aus Gorleben Gabi Haas

Unter Klappern, Rasseln und Pfeifen begann gestern im niedersächsischen Gartow bei Gorleben die genehmigungsrechtliche Erörterung für eine neue Atomfabrik: Die PKA, Kürzel für „Pilot–Konditionierungsanlage“, in der alle möglichen Arten radioaktiver Abfälle umgeladen, zersägt, eingedampft und wieder neu verpackt werden sollen. Doch die erste Anhörungs–Etappe hatte noch nicht einmal begonnen, als der Verhandlungsleiter zur Horst, Beamte im niedersächsischen Umweltministerium, die Veranstaltung wegen Befangenheitsanträgen abbrechen und auf den nächsten Tag verschieben mußte. „Warum ist der Saal so klein?“ „Wo bleibt die Klimaanlage?“ „Wie halten Sie es mit dem Sittengesetz?“ Bis mittags wenigstens wurden die auf und um das Podium versammelten etwa vierzig Atom– Sachverständigen mit eher sachfremden Fragen bombardiert. Die im überfüllten Saal sich drängelnden Atomgegner hatten sich nämlich vorgenommen, von Anfang an selbst das Wort zu führen „bzw. mit Kleingeld zu klingeln oder die Pfeife zu trillern“. Auf einer Pressekonferenz während der erzwungenen Pause legten die Bürgerinitiative, die Bäuerliche Notgemeinschaft und die örtlichen Grünen dar, warum sie die Angelegenheit für eine reine Schauveranstaltung der Betreiber halten: Es handele sich bei der PKA nicht um einen echten Beitrag zur Entsorgung, sondern lediglich darum, „die heiße Kartoffel wie bisher von der einen in die andere Hand zu werfen“. Die Wenigsten (böse Zungen behaupten: Nicht einmal die Betreiber) wissen ganz genau, was sich hinter dem Begriff „Konditionierungsanlage“ eigentlich verbirgt, obwohl die DWK „Deutsche Gesellschaft für die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen“ den Bauantrag schon im Mai 1986, nur wenige Tage nach der Katastrophe von Tschernobyl stellte. Der Standort soll in Gorleben liegen, direkt neben dem Zwischenlager und nur ein paar hundert Meter vom geplanten Endlager entfernt. Schon im nächsten Jahr will die DWK mit dem Bau beginnen - und das, obwohl weltweit keine ähnliche Anlage existiert und der Sicherheitsbericht nach dem Urteil kritischer Atomwissenschaftler vor allem durch seine Lückenhaftigkeit glänzt. Klar ist,daß in der geplanten Versuchsanlage all jener Atommüll bearbeitet werden soll, der nicht in der WAA untergebracht werden kann, weil eine Wiederaufarbeitung technisch noch nicht möglich oder nicht wirtschaftlich ist: Plutoniumhaltige Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren, Brennelemente mit zu hohem Abbrand (also mit langer Verweildauer im Reaktor), Brennelemente aus dem Hochtemperaturreaktor in Hamm, Brennelemente mit kaputten Brennstäben. Vor allem aber: Mehrere tausend Kubikmeter hochaktiven Mülls, die bei der Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente in La Hague und Windscale angefallen sind und vertragsgemäß ab 1993 wieder in die Bundesrepublik zurückwandern werden. Allein mit dem Umladen dieser heißen Ware in andere Lagerbehälter wäre die PKA sechs bis zehn Jahre ausgelastet. Genau wegen dieser gigantischen Müllmengen aus dem Ausland halten Kritiker den Begriff „Pilot– Konditionierungsanlage“ auch für „Etikettenschwindel“. Er suggeriere fälschlicherweise, daß es hier ausschließlich um die Erprobung neuer Techniken zur Behandlung abgebrannter Brennelemente zwecks späterer Endlagerung ginge. In Wirklichkeit sei nicht nur die Verpackung, sondern teilweise auch die langfristige Zwischenlagerung des brisanten Mülls in großem Stil geplant - ein „Schlupfloch“ für sämtliche Problemabfälle. Denn: Das benachbarte Zwischenlager ist nicht für die zerschnittenen Brennelemente ausgelegt. und ein Endlager bekanntlich außer Sichtweite gerückt. Für die Bürgerinitiative ist die PKA deshalb auch der „Joker, mit dem die Betreiber sich aus der Endlager–Misere herauszumogeln versuchen“. Zu den Problemabfällen gehören übrigens auch die Bläh–Fässer aus Mol, verseuchte Gerätschaften aus den ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen und schadhafte Brennelemente aus dem Schnellen Brüter. Schließlich soll in der PKA auch das passieren, was in keinem der drei in der Bundesrepublik im Bau befindlichen Zwischenlager möglich sein wird: das Reparieren defekter Castor– und Pollux–Behälter, wie die DWK ihre Transport– und Endlager–Behälter nach den Heldenzwillingen aus der griechischen Mythologie getauft hat. Neben der Behandlung und vor allem dem Zerkleinern der Brennelemente gehört diese Reperaturwerkstatt sicher zu den emissionsträchtigsten Bereichen der Anlage. Hier wurden die meisten radioaktiven Gase freiwerden. Schon im Normalbet rieb ist die zu erwartende Strahlenbelastung durch die PKA etwa genauso hoch wie bei der früher in Dragahn in Lüchow–Dannenberg geplanten WAA, obwohl dort zehnmal so viele Brennelemente bearbeitet werden sollten. Das errechnete der Bremer Atomwissenschaftler Kirchner, der den vergleichsweise hohen Radioaktivitätsausstoß der PKA auf deren viel niedrigeren Schornstein (nur 60 statt 200 Meter Höhe) und die erheblich schlechteren Filteranlagen zurückführt. Neben den zahllosen weißen Flecken im Sicherheitsbericht und den Schönrechnereien läßt die DWK auch die Frage offen, warum der Atommüll nicht gleich am Ort seines Entstehens in die geeigneten Behälter verpackt wird. Zumal ein Teil der strahlenden Frachten letztlich gar nicht in Gorleben bleiben sollen, und das Aus– und Umpacken sowie die langen Transportwege die Angelegenheit nicht gerade sicherer macht. Unklarheit herrscht auch über die langfristig anvisierte Kapazität der mysteriösen Atommüllfabrik. Da die DWK in ihren Planungen schon ab dem Jahr 2.000 von einer Groß–Konditionierungsanlage mit einem zehnfachen Jahresumsatz ausgeht, ist kaum anzunehmen, daß das Gelände der PKA wieder zur grünen Wiese wird. Alle Indizien sprechen dafür, daß sehr schnell vom Laborbetrieb zur großtechnischen Anlage übergegangen werden soll. Ginge es nach dem Willen der über 12.000 Einwender, ginge die PKA nicht über das Versuchsstadium am Reißbrett hinaus. Denn, so begründete einer von ihnen gestern seinen Befangenheitsantrag gegen zur Horst: Eine sachgerechte Beurteilung und unabhängige Information der Bevölkerung habe es „noch nicht einmal im Ansatz in diesem verwilderten Gebiet der Atomindustrie“ gegeben. Und das sei eben das Metier, in dem der Verhandlungsleiter sich bewege. Zur Horst mußte erst einmal seine Behördenleitung über diesen Antrag entscheiden lassen - nicht ohne allerdings unter dem Publikumsgelächter zu betonen:“ Diese Vorwürfe weise ich für den niedersächsischen Umweltminister zurück!“