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Ab 1989: Ohne Arbeitskarte kein Job

■ Bundeskabinett beschließt Sozialversicherungsausweis / Plastikkarte gegen „Schwarzarbeit“ wird der Schlüssel zum Datenmoloch / Experten äußern verfassungsrechtliche Bedenken gegen Ausweis

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) -Das Bundeskabinett hat gestern in überraschender Eile einen Gesetzentwurf für einen Sozialversicherungsausweis verabschiedet. Sollte dieser Entwurf die parlamentarische Zustimmung finden, wird von 1989 an die gesamte berufstätige Bevölkerung der Bundesrepublik zwangsweise mit einer solchen Plastikkarte ausgestattet. Der Ausweis - über seine Fälschungssicherheit wird noch diskutiert– muß dann bei jeder Arbeitsaufnahme dem Arbeitgeber vorgelegt werden. ArbeitnehmerInnen, die außerhalb des Verwaltungssitzes ihres Unternehmens arbeiten, sollen verpflichtet werden, den Ausweis bei sich zu tragen und ihn auf Verlangen den Kontrolleuren des Arbeitsamtes und der Gewerbeaufsicht vorzulegen. Wer ohne diesen Ausweis arbeitet oder jemanden ohne das umstrittene Plastikdokument beschäftigt, muß laut Gesetzentwurf mit Bußgeldern in vierstelliger Höhe rechnen. Bei Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern sollen die Ausweise von den Behörden eingezogen werden, um die Leistungsbezieher an einem zusätz lichen Verdienst zu hindern. Erklärtes Ziel des neuen Sozialversicherungsausweise ist die „Bekämpfung der Schwarzarbeit und des Leistungsmißbrauches“ bei Arbeits– und Sozialämtern. Tatsächlich jedoch bestreiten auch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, ob die millionenteure Plastikkarte die täglichen Schummeleien eindämmen kann, denn nach den Plänen der Bundesregierung wäre die arbeitsfähige Nation zwar ab 1989 mit Arbeitsausweisen ausgestattet, aber mit niemandem, der sie kontrolliert. Während der Ausweis gegen die Schwarzarbeit wenig effektiv sein wird, sehen Datenschutzexperten in ihm einen brisanten Schlüssel zum hochsensiblen Bereich der Sozialdaten. Die Sozialversicherungsnummer, die jeder Bundesbürger bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit bekommt und bis zu seinem Lebensende behält, könnte dann zu der vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Personenkennziffer werden. Wird nun die Sozialversicherungsnummer in den Ausweis eingeschweißt könnte sie zum gängigen Identifizierungsmittel im All tag werden. „Verfassungsrechtlich höchst bedenklich“ lautet daher auch das Urteil des Berliner Datenschutzbeauftragten über den Sozialversicherungsausweis. Und zu einer ähnlich vernichtenden Einschätzung kommt auch der Bremer Rechtsinformatiker Professor Steinmüller in einem Gutachten für die Fraktion der Grünen. Brisant ist der geplante Ausweis vor allem auch im Zusammenhang mit zwei anderen Gesetzesvorhaben der Bundesregierung: die Blümsche Gesundheits“reform“ sieht die Einrichtung von Patientendateien bei den Krankenkassen, wobei die meisten Kassen vor ebenfalls die Sozialversicherungsnummer als Ordnungsmerkmal benutzen. Und gleichzeitig soll eine Änderung des Sozialgesetzesbuches zahlreiche soziale Einrichtungen ermächtigen, ihre Dateien unter Zuhilfenahme der bisher nur eingeschränkt zugelassenen Sozialversicherungsnummer aufzubauen.

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