Grüne auf Feindsuche bei den Grünen

■ Bundesvorstand und Fraktion der Ökopaxe bekämpfen sich in aller Öffentlichkeit mit Zeitungsanzeigen und Offenen Briefen / Anlaß des wieder entflammten Flügelstreits: der Gesetzentwurf zur Vergewaltigung in der Ehe / Die Bonner wollen ein Jahr Mindeststrafe

Von Max Thomas Mehr

Berlin (taz) - Die Auseinandersetzung bei den Grünen um die Mindeststrafe für Vergewaltigung in der Ehe eskaliert zu einer innerparteilichen Feinderklärung. Morgen werden sich Teile des Bundesvorstands, darunter alle SprecherInnen der Partei und rund 300 Mitglieder, in einer Zeitungsanzeige von ihren Bonner Parlamentären distanzieren. Überschrift: „Die Grüne Bundestagsfraktion vertritt ihre Parteibasis nicht mehr“. Die Fraktion hatte sich mehrfach gegen einen Gesetzentwurf mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren ausgesprochen, statt dessen eine Mindeststrafe von einem Jahr gefordert und wollte zum Thema sonst lieber gar keinen Gesetzentwurf mehr einbringen. Gleichzeitig kündigten die Unterzeichner der Anzeige an, sie würden „die Mißachtung von Parteibeschlüssen und feministischen Interessen nicht hinnehmen“. Die Landtagsfraktion der Grünen in Hessen um Joschka Fischer und Mitglieder des dortigen Landesvorstands griffen gestern ihrerseits den Bundesvorstand in einem Offenen Brief wegen der Anzeigenaktion scharf an und forderten ihn auf, die Anzeige zurückzuziehen. Die Partei werde damit „schlimmstenfalls auf den politi schen Friedhof“ geführt, meinen die UnterzeichnerInnen. Außerdem werde „scheinbar bedenkenlos das Würgeeisen der Spaltung von Partei und Bundestagsfraktion“ der Partei angelegt, „weil da Abgeordnete anderer politischer Auffassung sind“. stünEs stünden sich zwei Grundüberzeugungen gegenüber: „einerseits die Gleichbehandlung von gleichverwerflichen Straftaten... und andererseits die urgrüne Ablehnung jeglichen Sühnestrafrechts“. Gleichzeitig betonen die AutorInnen des Briefes, daß es durchaus zu den in der Vergangenheit formulierten Grundsätzen grünen Demokratieverständnisses gehört habe und die Partei sich keinen Zacken aus der Krone breche, wenn in einem solchen Konflikt grüner Grundüberzeugungen nicht gleich eine Übereinstimmung herstellbar sei. Der Krach bei den Grünen geht jedoch weit über den Anlaß hinaus. Dafür spricht der zweite Teil des Offenen Briefes, in dem an den von einem Parteitag umjubelten Satz des Bundesvorstandssprechers Christian Schmidt anläßlich seiner Wahl erinnert wird. Damals hatte Schmidt erklärt, er wolle die Sozialdemokratie schwächen und die Grünen stärken. Was daraus geworden sei, fragen Fischer und andere Fortsetzung auf Seite 2 und geben gleich ihre Antwort: „Wir taumeln ... von Niederlage zu Niederlage, die programmatische Weiterentwicklung wurde immer wieder hinausgeschoben.“ Statt dessen würden sich die sozialdemokratischen Enkel „munter an grüner Programmatik bedienen“. In einer Stellungnahme hat der Bundesvorstand den Vorwurf der Spaltung zurückgewiesen: „Wenn es hier überhaupt um Spaltung geht, dann um die Ab–Spaltung der Bundestagsfraktion von ihrer Basis.“ Gleichzeitig wird in der Erklärung betont, daß es geradezu Aufgabe des Bundesvorstands sei, „für die Umsetzung der Bundesversammlungsbeschlüsse zu sorgen“, die schließlich oberstes Organ der Grünen sei. Man solle endlich aufhören mit der „Legendenbildung“, nach der „eine Anzeige die ganze Partei kaputt machen könne“.