Die „Doppelnull“ verprellt konservative Bauern

■ Hessens Landwirtschaft auf dem sicheren Weg in die Agrarindustrie / Ministerin Irmgard Reichhardt machte sich selbst im schwarzen Fulda unbeliebt

Aus Frankfurt Heide Platen

Im Amt wird sie nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand die „Doppelnull–Lösung“ genannt. Dort wirkt sie jetzt bereits über ein Jahr, die neue hessische Ministerin für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz, Irmgard Reichhardt (CDU). Und sie wirkt so, daß selbst die konservative bäuerliche Klientel langsam in Harnisch geraten ist. Sogar die „Katholische Landvolkbewegung“ in der rabenschwarzen Diözese Limburg meldete sich beim traditionellen Treffen am Dreikönigstag 1988 - wenn auch vorsichtig und neutral - zu Wort. Sie wendet sich gegen das Bauernlegen, sieht „Tausende bäuerlicher Familien in ihrer Existenz“ gefährdet, wenn an diesem „Scheideweg“ Agrarpolitik zugunsten „einer industriell betriebenen Nahrungsproduktion“ betrieben werde. Eben das aber werfen KritikerInnen der Landwirtschaftsministerin vor, die selbst auf ihrem „industriell“ bewirtschafteten Hof Zuckerrüben produziert. Aus dem mittelhessischen Karben schreibt der „Siedlerverband“ verzweifelt an die Landtagsfraktionen, er habe weder auf Bundes– noch auf Landesebene Gehör gefunden. Er schlägt ein Hilfsprogramm vor, durch das die Bauern in die Lage versetzt werden, ihre Produkte in der Region direkt an die VerbraucherInnen zu bringen. Statt dessen strich Reichhardt in einer ihrer ersten Amtshandlungen das ländliche Regionalprogramm VER. VER beriet und förderte unter rot– grüner Ägide kleine Betriebe. Auch der CDU–regierte Land kreis Fulda protestierte - erstmals in in seiner Geschichte gemeinsam mit der SPD - gegen die neue Landwirtschaftspolitik in Wiesbaden. Selbst das Blatt Der Hessenbauer und etliche konservative Bauernverbände, unter ihnen der Fuldaer, rauften sich öffentlich die Haare. Konzentration und Gigantomanie ist allenthalben angesagt. Von den derzeit noch 54 Schlachthöfen in Hessen sollen in den neunziger Jahren noch zwei übrigbleiben, einer in Frankfurt und einer in Fulda. Das sei, beschied die Ministerin während einer Landtagsdebatte, sehr wohl eine Dezentralisierung, denn Fulda liege „dezentral, wenn Sie so wollen“. So wollen weder die Bauern noch die grüne Landtagsabgeordnete Irene Soltwedel. Sie machte in der gleichen Sitzung die Rechnung auf. Von den 38 Molkereien in Hessen sollen 36 verschwinden. Eine der zwei restlichen ist die Firma Moha in Hungen, die jahrelang ungehindert salmonellenverseuchtes Milchpulver produzierte. Soltwedel: „1950 gab es noch 2.083 Molkereien in der gesamten Bundesrepublik, wir haben heute noch 480. Zehn Milchriesen kontrollieren den gesamten Markt in der Bundesrepublik.“ Auch das Fleisch, das in Hessen verzehrt wird, kommt immer mehr aus billig und massenhaft produzierenden Betrieben in Holland, der DDR und aus den umweltvernichtenden riesigen Viehzuchtbetrieben in Niedersachsen. Die Eigenproduktionsrate von 58 Prozent (1987) sinkt ständig. Hühner liefern Giganten wie die Firma Pohlmann aus dem niedersächsischen Vechta. Pohlmann ist als „Herr über neun Millionen Hennen“ bekannt. Reichardt teilte in einer Presseerklärung mit, daß die Batteriehaltung bei Legehennen jedenfalls unter ihrer Regie „nicht mehr verteufelt“ werde. Ungefähr gleichzeitig ließ die British Petroleum (BP) laut Handelsblatt wissen, das jedes dritte auf der Welt produzierte Ei für ihren Konzern gelegt werde. Die scharfe Konkurrenz hat kuriose Auswirkungen. Das Sozialministerium finanziert seit nunmehr zehn Jahren eine Werbekampagne für Frischmilch. Die Milchwirtschaft trug diese Schuld über den Großhersteller Schwälbchen ab, der im Gegenzug täglich Frischmilch an hessische Kindergärten lieferte. Die Firma stellte dies ein, als das Geschäft für sie unwirtschaftlich wurde, und bot an, statt dessen einmal monatlich lagerfähige H–Milch zu bringen. Erst nach Protesten aus der Öffentlichkeit war sie bereit, wieder zu liefern. Kontroversen gibt es auch um das Verbot der Massentierhaltung. TierschützerInnen und Grüne fordern einen Höchstbestand von 1,5 sogenannten „Großvieheinheiten“ pro Hektar Land. Üblich in Großbetrieben sind aber acht bis zehn Tiere. Ministerin Reichhardt will die ohnehin rentablen Großunternehmen zwar nicht fördern, sie aber ungehindert wachsen lassen. Die Betriebe sollen durchaus „ein wenig über diese Obergrenze gehen“ dürfen, wenn das für sie wirtschaftlich ist. Andere Streitpunkte sind die EG–Flächenstillegungsprogramme und die Vorruhestandsregelung für LandwirtInnen, die ihren Hof aufgeben wollen. Dies alles fördere, so SPD und Grüne unisono, das Bauernsterben in Hessen. Kleine Höfe sind gezwungen aufzugeben, Flächenstillegungen kämen Betriebsstilllegungen gleich. Die Abgeordnete Soltwedel vermutet hinter dem Programm eine „kalte Enteignung“. Wenn die stillgelegte Fläche wieder genutzt werden könne, seien die betroffenen Bauern längst pleite, und Banken und Großunternehmen könnten das Land aufkaufen. Daß der landwirtschaftliche Hase in Hessen in diese Richtung laufen soll, entnehmen sie auch der Plenarrede der Ministerin, die durchaus am Horizont sieht, daß bei freiwerdenden Flächen die „Übernahme durch weiterwirtschaftende Betriebe“ möglich sein müsse. Mit Häme registrierte die Opposition einen Tippfehler des Ministeriums in der Pressemitteilung Nr.29 Ende April dieses Jahres. Die Bilanz des einjährigen Wirkens von Irmgard Reichhardt enthielt den Satz: „Ein EG–weites Anwendungsgebot für Hormone wurde unterstützt.“ Die Berichtigung folgte zwei Tage später. „Anwendungsverbot“ habe es natürlich heißen sollen. Schuld sei der Druckfehlerteufel gewesen.