Öffnung zur Mitte? Erst der Sieg!

■ Die französischen Rechtsparteien haben ihr Selbstbewußtsein verloren / Nur zu offensichtlich wird sich ihre Position nach den Parlamentswahlen am 5.und 12.Juni wesentlich verschlechtern

Aus Paris Georg Blume

„Den ersten, der uns verrät, knalle ich persönlich ab.“ Bandenchef Chirac hat offensichtlich das Vertrauen in die eigenen Männer verloren. „Diejenigen, die meine Haut wollen, sollen wissen, daß sie dafür kämpfen müssen. Ohne mich sind sie gar nichts.“ Die Gefolgschaft scheint anderer Meinung zu sein, sonst würde ihr Chef nicht derart auftrumpfen. „Es gab die Solidarität im Erfolg, jetzt muß man lernen, in der Niederlage solidarisch zu sein.“ Den bürgerlichen Genossen bleibt nichts erspart. „Vor uns liegen mindestens zehn Jahre Opposition. Wir müssen im Karree stehen und zusammenhalten.“ Der Häuptling hat gesprochen. Doch wer hört noch auf Chirac? Sicherlich, für die Parlamentswahlen haben sich die Bürgerlichen noch einmal zusammengetan, mit Chirac und Giscard an der Spitze - nur Raymond Barre hat sich von vornherein distanziert. Aber schon die Namensschöpfung für die rechte Wahlliste verspricht Unglück: „Union der Sammlungsbewegung und des Zentrums“ - zu französisch „URC“ abgekürzt - erinnert an den populären Ausspruch „beurk“. Das heißt etwa „pfui, ekelhaft“. Die französischen Bürgerlichen, ob liberal oder autoritär, haben ihr Selbstbewußtsein verloren. Erstaunlich ist dies auf den ersten Blick deshalb, weil wohl nach keiner Wahl die Verlierer derart hofiert wurden. Kaum hatte Mitterrand die rechtsliberale Regierung ebenso elegant wie kraftvoll aus dem Amt gefegt, da rätselten Kommentatoren und Beobachter bereits darüber, wie moderate Mitglieder des diskreditierten Chirac–Teams im Rahmen einer Mitte–Links–Koalition augenblicklich wieder in Ministerwürden zurückkehren könnten. Schon glaubte man, Mitterrand, der die Öffnung zur Mitte versprochen hatte, werde nunmehr - a la bundesdeutscher FDP - auf eine unabhängige Zentrumspartei schwöre, die den Sozialisten fortan zur Seite stünde. Heute nun, da Mitterrand das Parlament aufgelöst hat, sich alsbald eine absolute sozialistische Mehrheit im Parlament bilden wird und jene Zentrumspartei vorerst aus dem Blickfeld gerückt ist, will man dem Präsidenten vorwerfen, sein Versprechen nicht gehalten zu haben. „Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren gab es eine großartige Gelegenheit zur politischen Öffnung“, meint nunmehr der ehemalige Premierminister und gaullistische Mitterrand–Freund Jacques Chaban–Delmas. „Die Gelegenheit ist vertan.“ Schon spricht Ex–Präsident Giscard von einer neuen Politiker–Generation: diejenigen, die von der Öffnung enttäuscht seien. Doch Michel Rocard, der neue Premierminister, wehrte noch am Donnerstag alle Vorwürfe ab: „Nichts kann unseren Willen zur Öffnung in Frage stellen.“ Giscard und Chaban–Delmas müssen sich noch etwas gedulden. Man verhandelt nun einmal lieber mit einem schwachen Gegner zu verhandeln. Mitterrand erneuerte sein Öffnungs–Versprechen deshalb für die Zeit nach den Parlamentswahlen. Eine „bedeutende Erweiterung“ seiner Mehrheit wünsche er dann, denn es „ist nicht gesund, wenn eine einzige Partei regiert“. So die Pfingstbotschaft des Präsidenten. Mitterrand blieb gar keine andere Wahl. Unter der Fuchtel Chiracs und angesichts der Intrigen und Konkurrenzkämpfe bei den ohnehin wenig zahlreichen liberalen Rechtspolitikern war die Bildung einer neuen Zentrumspartei von vornherein illusorisch. Seit jeher wird Politik in Frankreich - anders als in der Bundesrepublik - von Köpfen und nicht von Parteien gemacht. Deshalb ist Mitterrand immer noch auf dem besten Weg, sein Versprechen einzulösen. Wenn es dem Kapitän erst einmal gelingt, Giscard und Chaban als Matrosen zu heuern, ist die Öffnung schon perfekt. Das aber kann erst nach den Parlamentswahlen gelingen - wenn Häuptling Chirac nicht mehr ballern kann, weil er bei der Wahl alle Waffen strecken wird.