Moskau stellt Afghanistan-Rückzug in Frage Sowjetisches Außenministerium fordert Pakistan ultimativ auf, die Unterstützung der Mudjaheddin sofort einzustellen / Sowjets mischen sich bei Machtstreit in der afghanischen KP nicht ein / Parlame

Moskau stellt Afghanistan-Rückzug in Frage

Sowjetisches Außenministerium fordert Pakistan ultimativ

auf, die Unterstützung der Mudjaheddin sofort einzustellen / Sowjets

mischen sich bei Machtstreit in der afghanischen KP nicht

ein / Parlamentssitzung in Kabul / Erneute Demonstration in Eriwan

Berlin (afp/taz) - Der Truppenabzug aus Afghanistan sei ernsthaft in Frage gestellt, falls Pakistan die Unterstützung der „konterrevolutionären Banden“ nicht unverzüglich einstelle. So lautet eine Erklärung des sowjetischen Außenministeriums vom Samstag, in der der Regierung in Islamabad vorgeworfen wird, die Mudjaheddin mit Waffen und Sprengstoff zu versorgen, wie zu Zeiten der Höhepunkte des neunjährigen Bürgerkrieges. In der gleichen Stellungnahme wird entschieden dementiert, daß Teile der afghanischen Streitkräfte in den letzten Wochen zu den Rebellen übergelaufen seien. Diese Gerüchte kursieren seit einigen Tagen in pakistanischen Diplomatenkreisen, denen zufolge die Sowjets einen Machtkampf in der regierenden Demokratischen Volkspartei Afghanistans fürchten, der die KP wieder einmal vor eine Spaltung stelle. Die Genossen streiten sich bereits seit den 70er Jahren um den richtigen „marxistischen“ Kurs. Aus Moskau ist derweil zu hören, man mische sich in die Parteidiskussion nicht weiter ein.

Gestern ist in Kabul zum ersten Mal seit 15 Jahren ein geheim gewähltes Parlament zusammengetreten. Staats- und Parteichef Nadschibullah rief in seiner Eröffnungsrede die moslemischen Widerstandskämpfer auf, ihre in beiden Kammern freigehaltenen Sitze einzunehmen und sofort ihre Waffen niederzulegen.

Das „Selbstbestimmungsrecht“ jeder KP auf einen eigenen Weg wird in den ebenfalls am Wochenende erst bekanntgewordenen ZK-Thesen zur anstehenden Parteikonferenz am 28. Juni selbstkritisch beleuchtet. Da heißt es, die Außenpolitik sei grundlegenden Wandlungen in der Welt hinterhergehinkt und habe Chancen verpaßt, Spannungen zu vermindern und das „Verständnis zwischen den Nationen zu vermehren“. Afghanistan wird nicht beim Namen genannt, deutlich heißt es aber, „wir haben uns zu einem Rüstungswettlauf verleiten lassen“, anstatt „mit politi- schen Mitteln“ die außenpolitischen Probleme zu lösen. Die Fehler der Vergangenheit dürften sich nicht wiederholen, wozu auch in der Innenpolitik die Weichen neu gestellt werden müßten. Dazu gehöre die Begrenzung der Amtszeit für alle Funktionäre auf zweimal fünf Jahre. Zusätzlich solle ein Teil der 300 ZK -Mitglieder zwischen den Parteitagen ausgewechselt werden, um auf diese Weise einen „ständigen Zugang frischer Kräfte“ sicherzustellen. Um einen echten Wettbewerb für Parteifunktionen zu sichern, müßten von nun an alle Wahlen geheim und mit mindestens zwei Kandidaten pro Funktion durchgeführt werden. Ob die vorgelegten Thesen in der Partei Anklang finden werden, wird sich in einem Monat zeigen, wenn die Gorbatschow'schen Vorschläge zur Abstimmung bei der Parteikonferenz vorliegen. Während die Partei Selbstkritik übt, demonstriert das Volk. So 10.000 Armenier in Eriwan um die Freilassung inhaftierter Freunde zu erzwingen, einige Hundert Georgier in Tiflis für die Rechte größerer nationaler Eigenständigkeit und mit einem ähnlichen Anliegen wollen während des Gipfels mehrere Gruppen von Juden auf die Straßen Moskaus gehen, um ihrem Ausreisewunsch Nachdruck zu verleihen.R.H.