Die Kraft, die in den Wellen steckt Norwegische Wellenkraftwerke entwickeln sich zu ernstzunehmenden Energieproduzenten / 50 Kilowatt pro Welle / Eine Chance für Drittweltländer

Die Kraft, die in den Wellen steckt

Norwegische Wellenkraftwerke entwickeln sich zu

ernstzunehmenden Energieproduzenten / 50 Kilowatt pro Welle / Eine Chance für Drittweltländer

Aus Bergen G.Köhne/C.Kirfel

Am äußersten Ende des Schärengartens, weit draußen vor der norwegischen Fjordstadt Bergen, liegen versteckt zwischen flachen Felskappen zwei Kraftwerke. Sie sollen den Beweis liefern, daß wir uns die Wasserkräfte, die tagtäglich als Wellen an die Küsten branden, zunutze machen können. Das eigens für die Entwicklung von Wellenkraftwerken gegründete Unternehmen „Norwave“ in Oslo fand vor gut drei Jahren am westnorwegischen Schärengürtel günstige geographische Bedingungen für seine Pläne. Die Ingenieure entschieden sich für zwei benachbarte Inseln, die durch einen trichterförmigen Sund voneinander getrennt sind - ein idealer Standort. Die Trichteröffnung weist zur offenen See. Man verlängerte den natürlichen Trichter durch einen Betonkanal in die dahinterliegende Meerenge, die durch zwei einfache Dämme zu einem Becken gestaut wurde. Die Wellen, die nun in den Trichter einlaufen, steigen aus eigener Kraft den immer schmaler werdenden Kanal hinauf und drücken sich schließlich über dessen Wände in das drei Meter höher gelegene Auffangbecken. So gelangen pro Welle bis zu 14 Kubikmeter Wasser in das Becken. Von dort aus wird das Wasser wieder die drei Meter zum Meeresspiegel heruntergelassen - durch eine einfache Turbine, die den Sturz in elektrische Energie umwandelt. Der Generator dieser kleinen Versuchsanlage bringt eine Leistung von 350 Kilowatt (kW), genug, um 20 bis 40 Haushalte mit Strom zu versorgen. Das Reservoir stellt mit seinem Fassungsvermögen von 5.500 Kubikmetern keinen besonders großen Energiespeicher dar, er reicht aber aus, um wetterbedingte Unregelmäßigkeiten in den Wellenhöhen und -stärken über kürzere Zeit ausgleichen zu können. Durchschnittswellen von 75 Centimeter Höhe reichen aus, das heißt, die durchschnittlichen Wetterverhältnisse der Nordsee bieten Gewähr für eine gleichmäßige Stromproduktion. In einem Meter Nordseewelle stecken gut 40 Kilowatt Energie, an der irischen Küste sind es sogar 60 bis 80 Kilowatt. Eine Pazifikwelle bringt es auf 50 Kilowatt.

Eine bedeutende Leistungssteigerung des Kraftwerkes versprechen sich die Planer von zwei riesigen schwimmenden Pontons, die sie im nächsten Jahr mehrere Kilometer vor der Küste unter der Wasseroberfläche verankern wollen. Wie durch ein Tor sollen dann die herannahenden Wellenfronten bereits weit draußen für den schmalen Trichtereingang kraftvoll gebündelt werden. Die kühnsten Berechnungen sagen eine tausendfache Kapazitätssteigerung voraus. Für Wellenkraftwerke dieses Typs - sie kosten zwischen 8 und 15 Millionen Mark - eignen sich in Europa in erster Linie die Küsten Norwegens, Irlands, Englands und der Iberischen Halbinsel. China und Japan bieten die Voraussetzungen ebenso wie Afrikas Westküste, Madagaskar, viele der Pazifik -Anrainerstaaten und die Südsee-Inseln. Norwave hat weltweit über 300.000 günstige Küstenplätze für sein Wellenkraftwek ausgemacht.

Für kleine Länder der Dritten Welt, die nach Auswegen aus ihrer Abhängigkeit vom Ölmarkt suchen, ist diese Energieform eine interessante Alternative. Die Technik ist umweltfreundlich und - ist die Kraftstation erst errichtet so gut wie wartungsfrei. Abgesehen von der Turbine werden keine mechanischen Teile gebraucht, die abnutzen könnten. Die Unterhaltungskosten sind minimal. Die Produktionskosten von 12 Pfennig pro Kilowattstunde scheinen dagegen nicht preiswert. Doch viele Drittwelt-Länder, zum Beispiel die Südseeinseln, müssen heute das Dreifache für den Dieseltreibstoff bezahlen, den sie zum Betrieb ihrer Kraftwerke importieren. Als Norwave-Manager Per Anderssen sein Kraftwerk kürzlich in dieser Region vorstellte, bestellte die begeisterte philippinische Regierung gleich 400 Stück. Tonga und Puerto Rico wollen demnächst nachziehen. Und kaum hatte sich der norwegische Verkaufserfolg herumgesprochen, meldete sich Konkurrenz: „Jetzt werden schon in mehreren Ländern Wellenkraftwerke produziert“, berichtet Anderssen verdrießlich. „Eine US -Firma sicherte sich neulich den Bau einer Station in Australien. Und die Japaner haben auch nicht lange auf sich warten lassen.“

Als ein alternativer Energie-Exportschlager könnte sich auch ein zweiter Wellenkraftwerkstyp erweisen, der auf der gleichen Schären-Insel erprobt wird. Es ist ein am Küstenfelsen montierter großer Metallturm, der mit seinem untersten Teil nach unten offen ins Meer ragt. Das Wasser im Turm schwappt mit den Wellen auf und ab. Das Turminnere läuft nach oben spitz zu und mündet in ein Rohr. Mit dem Ansteigen und Senken des Wasserspiegels wird Luft in das Rohr hineingeblasen und wieder herausgesaugt, was die Anlage weithin hörbar schnaufen läßt. Am Oberende des Rohres sorgt eine geniale Propeller-Erfindung für die Umwandlung der Bewegungsenergie in Strom. Das besondere Profil seiner Flügel läßt den Propeller immer in die gleiche Richtung drehen, egal ob Luft angesaugt oder ausgestoßen wird. Dieses Modell ist allerdings bisher noch von einer gleichmäßigen Stromproduktion weit entfernt und benötigt überdies teure elektronische Hilfsmittel. Sein Vorteil liegt jedoch in der größeren Unabhängigkeit von den geographischen Voraussetzungen. Die bisherigen Versuche mit den beiden Modellen in Bergen zeigen, daß Wellenenergie in Zukunft zur Lösung der Energieprobleme vieler Länder in Küstenlage beitragen kann. Aus dem Weg räumen wird sie sie jedoch nicht. Dazu sind die Kosten zu hoch, die Standortmöglichkeiten zu begrenzt. Und bis zum geplanten weltweiten Einsatz muß selbst nach Meinung der norwegischen Erfinder noch ein bißchen an den Norwave-Modellen gefeilt werden.