Geil: St.-Pauli-Rotlicht in der 1.Bundesliga Ein ganzer Stadtteil feiert Aufstieg des FC St. Pauli in die 1.Liga / Fans, Punks und Schickis verwandeln Reeperbahn in Klein-Rio / Verwirrte Sicherheitskräfte / Peep-Show-Frauen feierten in Ber

Geil: St.-Pauli-Rotlicht in der 1.Bundesliga

Ein ganzer Stadtteil feiert Aufstieg des FC St. Pauli in die 1.Liga / Fans, Punks und Schickis verwandeln Reeperbahn in Klein-Rio / Verwirrte Sicherheitskräfte / Peep-Show-Frauen feierten in „Berufskleidung“ mit / Der HSV ist völlig

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Aus Hamburg Axel Kintzinger

Der Damm hält nur bis 22 Uhr 20, dann erleben die Sicherheitskräfte auf dem Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel ihr Waterloo. Sechs Minuten zuvor hatte die Lufthansa-Maschine LH 055 aufgesetzt, und nun ist der Auftritt der Kicker samt Trainer und Vereinsvorstand jeden Augenblick zu erwarten. Schon seit einer halben Stunde lassen etwa 2.000 Leute das Flughafengebäude mit Schlachtgesängen erzittern, verunsichert drücken sich Passagiere an leeren Bierflaschen und der fußballbegeisterten Menge vorbei. Irritiert sind die Fluggäste vor allem wegen der Zusammensetzung der grölenden Menschenansammlung. Nicht nur die aus Fernsehübertragungen bekannten Fans, die die Liebe zu ihrem Club mit Vereinsstickern und Schals in Vereinsfarben dokumentieren, sondern auch Väter mit Töchtern auf den Schultern, Punks, die trotz drückender Schwüle nicht auf die schwarze Lederjacke verzichten und Schickis mit dem offenbar ebenfalls unvermeidlichen Fiorucci-Jäckchen bestimmen das Bild mit. Was sie vereint, ist der leidlich hohe Promillegrad und die ununterbrochen skandierte Einschätzung „Ooleeeoleoleolee - Super Hamburg St. Pauliii!“. Kein Mensch denkt in diesem Augenblick an den HSV, mehrfacher Deutscher Meister und Europacupsieger, nach einer als verkorkst bezeichneten Saison immerhin Sechster in der Abschlußtabelle der 1.Fußball-Bundesliga. Der FC St. Pauli ist „in“ - schon in den vergangenen Monaten kamen mehr Zuschauer zum Bolzplatz am Millerntor nahe der Reeperbahn als in das große Volksparkstadion im Westen der Stadt.

Und das hat mit der familiären Atmosphäre im vereinseigenen Wilhelm-Koch-Stadion zu tun, mit dem eindeutigen Bezug des Klubs zum Stadtteil St. Pauli. Angeführt vom Mannschaftsbus, formiert sich ein kilometerlanger Autokonvoi, fährt vom Flughafen aus quer durch Hamburg, um dann die Reeperbahn zu verstopfen. Auf dem Dach des Busses sitzt Torwart Volker Ippig, früher Hafenstraßen-Bewohner und Nicaragua-Brigadist, mit einigen Mitspielern und versucht die Stimmung zum Sieden zu bringen. Eine Steigerung ist kaum noch möglich. Aus den umliegenden Bars, Discos und Bordellen strömen die Menschen auf die Straße, Peepshow-Mädchen steigen von ihrer Drehscheibe und reihen sich in Berufs„kleidung“ in die Menge ein. Es ist nachts um halb eins, und auf der Reeperbahn geht - für den Autoverkehr - nichts mehr. Inmitten eines Krachs, den Hunderte von Autohupen verursachen und zwischen dicken Abgasschwaden tanzen volltrunkene Fans fahnenschwingend auf der viersprurigen Straße. Disco-Besucher, die das nahe Stadion am Millerntor noch nie von innen gesehen haben, lassen sich kurz über den Anlaß dieses Spontan-Karnevals aufklären und setzen ihren Tanz auf dem Asphalt fort. Die Huren hängen in den Fenstern, doch kein Zuhälter würde es in diesem Augenblick wagen, sie wegen Arbeitsverweigerung anzupfeifen - wer sich in dieser schwülen Nacht auf der Straße befindet, hat ohnehin anderes im Kopf als den Schnellfick. In einigen Kneipen St. Paulis sind die Zapfer schon seit dem späten Nachmittag nicht mehr zur Ruhe gekommen. Für ihre Gäste ist der folgende Arbeitstag ist fern wie der Mond. Näher liegt einem Fan dagegen eher die nächste Saison. Zwischen zwei Bieren grübelt er: „Wie wollen die eigentlich das Millerntor gegen die auswärtigen Fans sichern“, fragt er sich. Absperrungen zwischen den einzelnen Blöcken sind bei St. Pauli unbekannt, die Zuschauer konnten bis jetzt ungestört durch das ganze Rund laufen. Man ist unter sich und die Spieler reagieren auch schon mal auf Zuruf von den Zuschauern. „Das kann ja heiter werden, die Rechtsradikalen Fans aus Dortmund direkt neben dem Block aus der Hafenstraße“. Der Dauerkartenbesitzer nimmt einen Schluck aus dem frischgezapften Pils und präsentiert eine Lösung: „Am besten, alle kaufen eine Dauerkarte, dann brauchen dvon auswärts erst gar keiner kommen.“ Trotz des Jubels sind sich einige nicht so sicher, ob der Aufstieg von Vorteil ist. Die Sicht wird im übervollen Stadion schlechter, die zu erwartenden Holligans ziehen auch massive Polizeikräfte an und die sportlichen Erfolge dürften seltener werden.

Im Freudenrausch dieser Nacht gingen solche Überlegungen dennoch unter. Die Fans probten ihren Auftritt im Fußballhimmel und forderten: „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“.