Greenpeace-Nothilfe für die Nordsee In der Wesermündung legte Greenpeace ein Säureschiff an die Kette / Aktion gegen Robben- und Fischsterben / Bis zu 12.000 Tonnen Dünnsäure täglich kippt Kronos in die Nordsee

Greenpeace-Nothilfe für die Nordsee

In der Wesermündung legte Greenpeace ein Säureschiff an die Kette / Aktion gegen Robben- und Fischsterben / Bis zu

12.000 Tonnen Dünnsäure täglich kippt „Kronos“ in die

Nordsee

Aus Nordenham M. Weisfeld

Mitten in der Nacht waren sie in Hamburg losgefahren, elf Greenpeace-Aktivisten mit vier Autos und drei Booten auf den Trailern. Im Morgengrauen erreichten sie Dedesdorf, eine kleine Fährstation, wenige Kilometer oberhalb Nordenhams. Dort ließen sie die Boote zu Wasser und brausten die Weser abwärts. Um 5.30 Uhr hatten sie Fakten geschaffen: Die „Kronos“, eines der beiden Schiffe, das verdünnte Schwefelsäure des Kronos-Titan- Werks in die Nordsee verklappt, lag an der Kette. Um das dicke Fallrohr am Heck des Schiffes, durch das das Gift auch gestern in die Nordsee strömen sollte, hatten die Greenpeace-Leute eine Ankerkette geschlungen. Mit dem anderen Ende der Kette banden sie die „Kronos“ an einer Uferdalbe fest. Die Kette wurde mit Schäkeln geschlossen und zusätzlich verschweißt. Direkt unter dem dicken Fallrohr der „Kronos“ tänzelt seitdem ein Schlauchboot auf den Wellen. Drei Greenpeace-AktivistInnen, in ihren roten Kombis weithin sichtbar, wollen so verhindern, daß jemand das Schiff - etwa mit einem Schneidbrenner - wieder befreit. Mit Handschellen wollen sie sich im Ernstfall am Schiff anschließen und den Schlüssel in die trüben Weserfluten werfen.

Das Robben-und Fischsterben der letzten Tage hat die Hamburger Greenpeace-Gruppe dazu gebracht, sofort zu handeln. „Nothilfe für die sterbende Nordsee“, nennt Greenpaece- Bootsführer Harald Zindler die Aktion. Greenpeace fordert, daß ab sofort keine Industrieabfälle mehr auf See verklappt oder verbrannt werden. Diese Forderung richtet sich nicht nur an die Industrieunternehmen, sondern auch an das Hydrographische Institut in Hamburg, das die Genehmigungen ausstellt. Die Erlaubnis für die Abfallbeseitigung über ein Rohr in die Wesermündung stammt allerdings nicht von dem Hamburger Institut, sondern von der niedersächsischen Landesregierung. Eine gelb-grüne Tonne mit der Aufschrift „Rohr“ markiert die Stelle auf dem Wasser. Als das Greenpeace-Boot dort kurvt, können wir deutlich das aus der Tiefe aufwallende Abwasser sehen. Dort werde auch Dünnsäure eingeleitet, meint Harald Zindler. Die Kronos- Geschäftsführung leugnet das.

Mit Schwefelsäure wird im Nordenhamer Kronos-Werk der Bleichstoff Titan-Dioxyd aus Titan-Erz herausgelöst. Wenn die Säure verbraucht ist, geht sie als Dünnsäure in die Nordsee. Der Säureanteil dieses Abfalls beträgt aber immer noch 23 Prozent. 1200 Tonnen Dünnsäure passen in den Bauch der Kronos und ihres Schwesterschiffs Titan. Bei voller Produktion läuft täglich ein Schiff von der Werkspier in Richtung Helgoland aus, um in der Nähe der Insel das Gift abzulassen.

Gestern morgen blieb die „Kronos“ leer. Die Mannschaft ging zwar gegen acht Uhr an Bord, füllte aber die Säuretanks gar nicht erst auf. Die Besatzung wolle gegen die Greenpeace -Leute auf keinen Fall etwas unternehmen, versicherte ein Matrose den Umweltschützern. Sie wolle sich auch weigern, die Kette zu durchtrennen. Die Wasserschutzpolizei kam mit ihrem Schnellboot längsseits, griff aber nicht ein. „Noch ist das ja eine symbolische Aktion“, sagte Bootsführer Peter Witt.