Dem Gedächtnis der Natur auf der Spur Versuche, die Zukunft zu denken, gab es den Mai über auf dem Berliner Kongreß Bewußt Sein 88

Dem Gedächtnis der Natur auf der Spur

Versuche, die Zukunft zu denken, gab es den Mai über auf dem Berliner Kongreß „Bewußt Sein 88“

Wer weiß, was eine morphische Resonanz ist? Wer weiß, wie man seine rechte Gehirnhälfte aktiviert? Wer hat eine Ahnung davon, wie das Einssein mit der Natur zu bewerkstelligen ist? Oder kann jemand gar erzählen, wer Ashtar ist? Und vor allem: Was hat das Ganze mit unserer Zukunft zu tun?

Wer bislang nicht die geringste Ahnung hatte, wie dieser Zusammenhang hergestellt werden könnte, hatte jetzt einen ganzen Monat lang, vom 29.April bis 29.Mai, im Berliner Tempodrom und in der Kongreßhalle die Chance, sich gründlichst zu informieren.

„Wie ist eine Zukunft vorstellbar, die nicht mehr gefährdet ist durch ideologische Gegensätze? Was kann heute von jedem einzelnen unternommen werden, um jene Zwänge zu überwinden, die das mechanisch-rationalistische Denken und Handeln noch immer ausübt? Welche Konzepte sind bereits verfügbar - im Sinne einer Meta-Politik - um einen Bewußtseinswandel zu fördern, der die Gemeinschaft von Mensch, Technik und Natur in den Mittelpunkt stellt?“ Antworten versuchten auf dem Kongreß „Bewußt Sein 88“ Wissenschaftler, Philosophen, geistige Heiler, Religionsvertreter, Medien fürs Übersinnliche, ernsthafte und komische Heilige und alle möglichen sonstwie Berufenen zu geben.

Man solle sich das Naserümpfen verkneifen. Ungewöhnliche Umstände verlangen ungewöhnliche Maßnahmen. Denn so verschieden die Vorgehensweisen und theoretischen Ansätze der geladenen Gäste auch waren, so waren sie doch in einem einig: Die Welt, wie sie ist, steckt in einer Krise und die bisherigen Gegenmittel haben versagt.

Neue Wege zu finden ist dabei nicht einfach und auch Holzwege haben ihre Berechtigung. Ob auf diesem Holzweg der bereits genannte Ashtar zu finden ist, ein Lichtwesen aus einer anderen Dimension, wie seine irdischen Freunde, ein sehr kalifornisches Pärchen, ihn beschreiben, oder die Große Göttin, die nach jahrtausendelanger subversiver Tätigkeit sich nun wieder offiziell um ihre „Kinder“ kümmern möchte, spielt keine Rolle.

Der englische Biochemiker Rupert Sheldrake, ebenfalls Referent, definierte die morphische Resonanz als das Gedächtnis der Natur, das kollektive Gedächtnis all dessen, was existiert - einschließlich sozialer Systeme. Wird erstmals etwas getan oder gedacht, dann manifestiert sich diese Idee oder Tat und bleibt im Großen Gedächtnis haften. Die Natur, so Sheldrake, wird nicht von unabänderlichen Gesetzen regiert, sondern von Gewohnheiten. Sheldrakes Theorie geht über das „kollektive Unbewußte“ C.G. Jungs hinaus. Nicht gemeinsame Erfahrung macht eine morphische Resonanz aus, sondern die Verbindung zwischen vergangenen und jetzigen Formen oder Inhalten. Ein Gedächtnis also, das nicht im Gehirn sitzt, sondern als morphogenetisches Feld weiterwirkt.

So befremdend diese These auch klingen mag, so wenig ist Robert Jungk, anerkannter Vordenker und Doyen der Zukunftsforschung, mit seinen Thesen davon entfernt. Auf dem Forum Futurum stellte er, zunächst noch mit erheblichen Berührungsängsten zu dem Kontext, in dem er reden sollte, sein „Projekt Ermutigung“ vor. Er geht davon aus, daß allen Katastrophenmeldungen und Krisenbeschwörung zum Trotz

-die Menschen durch Aufzeigen positiver Beispiele ermutigt werden sollen, weiter zu kämpfen. Bereits in den vierziger Jahren hatte er deshalb in den USA das „Good News Bulletin“ herausgegeben, in dem nur gute Nachrichten zu lesen waren. Doch nicht Schönfärberei im Kohlschen Sinne lag ihm dabei am Herzen, sondern die Stärkung der Bereitschaft vieler Menschen, sich gegen Selbstzerstörung und für eine humane Politik einzusetzen.

Ähnlich wie Sheldrake geht Jungk davon aus, daß einmal gestartete Experimente, die der Lebenserhaltung dienen, weiterwirken und Neues aktiv vorbereiten - auch wenn sie scheitern. Ad hoc-Erfolge, wie sie in der heutigen Generation gefordert werden, seien dabei allerdings nicht zu erwarten. Veränderung von Geschichte ist ein langsamer Prozeß, führte Jungk aus, Fehlstarts und Umwege müßten dabei in Kauf genommen werden. Sie sind notwendig, wenn der direkte Weg noch nicht gefunden ist. Die einmalige Chance, daß Vertreter verschiedenster Ansätze miteinander ins Gespräch kamen, wurde dennoch in alter Manier vertan.

Anstatt gemeinsamer Überlegungen, wie diese Welt noch zu retten sei, herrschte Abgrenzung gegenüber jeder anderen Meinung vor.

Aber vielleicht funktioniert Bewußt Sein 88 mithilfe der morphischen Resonanz von Rupert Sheldrake, und die einmal gedachte Idee wird zur neuen Gewohnheit. Dann kann auch Robert Jungk davon ausgehen, daß Ermutigung nicht nur ein Buchprojekt bleibt, sondern zu neuen Widerstandsformen führt, die vielleicht die drohenden Katastrophen aufhalten, statt sie lediglich zu beklagen.

„Der Gegenstand ist einfach“, schrieb Wittgenstein in seinem Tractatus logico-philosophicus. Manche hätten's offenbar lieber kompliziert. Petra Dubilski