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Hier kann man mal so richtig doof sein Ein Hauch von Zukunft auf dem Forum Futurum / Von männlichen Vestalinnen, Photophonen auf SS-20-Lastwagen und schweren deutschen Zweifeln

„Hier kann man mal so richtig doof sein“

Ein Hauch von Zukunft auf dem Forum Futurum / Von männlichen Vestalinnen, Photophonen auf SS-20-Lastwagen und schweren

deutschen Zweifeln

Was für eine schöne Idee: große Geister beim Denken beobachten. Über ihren Köpfen wird sich strahlendes Licht in die Lüfte erheben, vielleicht kriegen wir auch was ab... so war das geplant, also, vielleicht nicht ganz so, aber auf jeden Fall wollten die Experten ihre Visionen, Utopien und Modelle austauschen. Natürlich ist das Vorhaben so riesig wie die ganze Thematik: ZUKUNFT, und natürlich, schließlich sind wir in Deutschland, beginnt erst mal alles mit einem Mißverständnis. „Ich möchte hier nicht mit irgendwelchen 'Silverclouds‘ auftreten“, empört sich Robert Jungk (und meint damit die Blonden aus Amerika, die sich hier ein paar Tage zuvor als Außerirdische gerierten), während der Huber Josef (Politologe mit Szene-Kenntnissen) es auf seinen Punkt bringt: „Ich möchte mich zwar nicht abgrenzen, aber irgendwo gibt es schließlich auch Grenzen...“ Eindeutig habermasmäßig. Gegeißelt werden muß „die neue Unübersichtlichkeit“ und angehen muß man gegen die neuen Vernebler, deren „Verdunklungsstrategien unangenehm ans Dritte Reich erinnern“. Die zwei Vertreter amerikanischer Indianervölker (Hopi und Tulalip) lauschen mit geduldiger Verständnislosigkeit den aufgeregten Reden der Weißen. „Wir unterscheiden zwischen Shaman und Showman oder zwischen Prophets und Profits“, erklärt Janet McCloud freundlich, aber Jungk hört gar nicht richtig zu, weil seine Frau immer dazwischenquatscht. Als wenn es nur um Geld und Entertainment ginge, schließlich sind wir Europäer berühmt dafür, die Dinge möglichst kompliziert zu beschreiben...

Wenn es in der Zukunft das Fegefeuer gibt, dann ist sicherlich Rudolf Bahro einer der neuen männlichen Vestalinnen. Bei seinen unerträglich autistischen Monologen wird die Glut nie verlöschen und das Leiden unendlich weitergehen. Da telefonieren wir lieber per Photophon mit Moskau. Micky Remann hat den kleinen Fernseher mitgebracht und alle setzen interessierte Mienen auf. Nur Hopi Thomas Banyacya bleibt ungerührt: „Ich kenne das aus den alten Prophezeiungen“ bestätigt er das Wunder, „da heißt es, daß wir einmal alle so kleine Bilder am Arm tragen, auf denen Menschen aus anderen Ländern zu sehen sind, mit denen wir uns unterhalten“ - die Indianer mal wieder!

Der Schönste war Heinz-Otto (Peitgen) aus Bremen. In Erinnerung an ihn seufzen Berliner Mädchenherzen auf: so schön, so klug, so erzählerisch - und dann noch 1a gekleidet. „Schönheit im Chaos“ ist sein Thema, da fühlen wir uns alle zuständig, und selbst naturwissenschaftliche Paranoiker fühlten Augen, Ohren und Gehirnwindungen tanzend übergehen.

„Paradigmenwechsel“ dürfte allmählich altmodische Begriffe wie „Betroffenheit, Solidarität u.ä. ablösen, denn das alte Paradigma, die Welt sei berechen- und kontrollierbar, ist nicht mehr zu gebrauchen“, sagt Heinz-Otto. „Die klassische Wissenschaft versucht, die Realität veränderter Bedingungen zu ignorieren, sie glaubt, mit bloßem Konstatieren etwas verstanden zu haben - damit ist sie nicht in der Lage, die Komplexität der Welt zu beschreiben“. Und dann erzählt er noch die wundersame Geschichte von dem Schmetterling, der sich in San Francisco unschuldig auf den Weg über die Golden Gate Bridge macht und gar nicht weiß, daß er mit daran beteiligt ist, wenn es später in Boston regnet... (Hämisch grinsende Ungläubige seien hier nur auf die Unsicherheit der Wetterberichte hingewiesen!)

Micky macht das Photophon klar. „Hello, are you there?“ Das erste Bild klappt sich auf der Großleinwand aus: ein Kalifornier grinst zwischen Bart und Nickelbrille auf uns nieder: Joel Schatz, Gründer der „San Francisco- Moscow Teleport“ grüßt uns alle hier von dort und dann sehen wir Zeichnungen von Lastwagen, die zum Transport der SS 20 benutzt wurden. Genau diese Lastwagen sollen jetzt eine fahrbare Station für Photophons werden und durch Europa reisen. Der Vorschlag liegt bei Gorbatschow, und der soll auch schon Interesse gezeigt haben.

Wenig später saß Micki erneut auf dem Podium, diesmal mit leibhaftigen Gesprächspartnern, dem soeben eingetroffenen Robert Anton Wilson und dem Iren Terence McKenna. Hatte uns schon bei Heinz-Otto ein Hauch von Zukunft angeweht, ging's nun erst richtig in die Vollen, so daß selbst Robert Jungk im Zuschauerraum sich ein heiteres Grinsen nicht verkneifen konnte. Wilson erzählte erst mal von seiner Anti-Jetlag -Maschine, der er sich kurz zuvor anvertraut hatte, und bitte: Der Jetlag war verschwunden. Tausende von Fliegern sprangen auf und wollten sofort Preis und Bezugsadresse wissen, aber dann auch wieder selbst mal aus dem dicken Erfahrungskistchen berichten, wie z.B. der, der gerade im Zoo gewesen war und dort einen Affen beobachtete, der in aller Seelenruhe einen Kaugummi auspackte und in den Mund stopfte, „da war ich echt einen Moment verunsichert“, steht er da und kratzt sich am Hinterkopf - Jungk lächelt immer noch.

„Wir wollen uns nicht mit dem beschäftigen, was in den nächsten 20 Jahren passiert“, beginnt McKenna, von dem Micki eingangs behauptet hatte, daß er für Kalifornien das werde, was Kant für Königsberg war. Ansonsten ist McKenna Fachmann für Amazonas-Schamanismus und Experte in der Einnahme ethnoschamanisch relevanter halluzinogener pflanzlicher Substanzen... Was die traditionelle Sozialwissenschaft beschwöre, seien hinlänglich bekannte und erklärbare Phänomene und Probleme unserer Zeit, was uns aber viel mehr bewegen müsse, sei die Begegnung mit dem Unerklärlichen (aber immer!). Ein Schamane sei der, der das Ende gesehen hat, von dort zurückkehrt, berichtet und große Ruhe verbreitet. „It's not the problem to find the answer, it's the problem to face the answer.“ Die apokalyptische Angst mache uns unbeweglich für den Umgang mit dem Unbekannten: „Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, daß wir uns alle in 23 Jahren nicht mehr wiedererkennen werden.“ Eine Vision, die optimistisch stimmt.

Jungk ist inzwischen raus gegangen und wettert vor der Fernsehkamera gegen den Obskurantismus. Da scheiden sich die Metaphern: den Apokalypseanhängern kommt dies mehr als spanisch vor. McKenna: „Wer zum ersten Mal eine Geburt sieht und nie vorher davon gehört hat, wird denken, daß dies das absolute und katastrophale Ende ist, Blut, Schleim und Geschrei - warum erkennen wir nicht diese Zeit als vorgeburtliches Stadium?“ „Man muß die Welt wie einen riesigen Topf Spaghetti sehen, in dem wir alle miteinander vernudelt sind“, ergänzt Micki das paradigmenwechselnde Methaphernwirrwarr und erzählt dann einen Traum, den er auf einer seiner Reisen erfuhr. Ich kann ihn leider nicht wiedergeben, weil ich dann mit meinen eigenen Träumen durcheinander käme, aber irgendwann erhielt Micki die Botschaft (im Traum!): you are not here to re-live your dreams, but to re-dream your life“ - Wow! Ich erhielt danach (ebenfalls im Traum) die profanere Übersetzung: „Im Packeis stehen und lügen nützt gar nix.“

Ein wahrhaft erleuchtender Abend, Forum Futurum, traumhaft und wirklich gleichzeitig. „Ich finde ganz toll, daß man hier mal so richtig doof sein und alles scheinbar Unmögliche erzählen kann“, spricht einer die Erleichterung aller aus. Wie schade nur, daß sich der schwere deutsche Zweifel so wichtig-zäh in den Köpfen unserer Zukunftsforscher festgesetzt hat, wie des Pfaffen Angst vorm Beelzebub.Renee Zucker

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