Soldaten dürfen aufmucken

■ Bundesverwaltungsgericht erklärt Versetzung eines aufmüpfigen Hauptmanns für rechtswidrig / Auch Soldaten dürfen atomare Aufrüstung kritisieren

Soldaten dürfen aufmucken

Bundesverwaltungsgericht erklärt Versetzung eines

aufmüpfigen Hauptmanns

für rechtswidrig / Auch Soldaten dürfen atomare Aufrüstung kritisieren

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Darf ein Kompaniechef der Bundeswehr in aller Öffentlichkeit Positionen der Friedensbewegung vertreten? Darf er darüberhinaus tatenlos zusehen, wenn seine Untergebenen den bedingungslosen Gehorsam in Frage stellen? Er darf, hat jetzt das Bundesverwaltungsgericht entschieden und dem Bundesverteidungsministerium einen Rüffel erteilt. „Auch Soldaten“, so stellen die Bundesrichter in ihrer jetzt veröffentlichten Entscheidung fest, „können sich in Wort und Schrift kritisch mit politischen Fragen, auch mit verteidigungspolitischen Fragen, auseinandersetzen und sich dabei auch in Widerspruch zur Meinung von Vorgesetzten und Kameraden setzen.“

Anlaß dieses Rechtsstreits war die vom Bundesverteidigungsministerium 1985 angeordnete Strafversetzung des Kompaniechefs Carl-Alfred Fechner. Fechner hatte sich damals als Mitglied der Gruppe „Darmstädter Signal“ in Interviews und Stellungnahmen kritisch mit der NATO-Nachrüstung und der Sicherheitspolitik auseinandergesetzt. Das allein war seinen Vorgesetzten auf der Hardthöhe schon zu viel Mißton im sonst so harmonischen Corpschor. Sofortiges Einschreiten sah man dann geboten, als aus Fechners Kompanie auch noch 20 Rekruten kurz vor ihrem öffentlichen Gelöbnis schriftlich erklärten, daß sie der Bundeswehr keinen bedingungslosen Gehorsam leisten wollten. Aus Gewissensgründen, so hatten die Rekruten verkündet, fühlten sie sich nur dann an ihr Gelöbnis gebunden, „wenn die Bundesrepublik Fortsetzung Seite 2

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Deutschland und ihre Verbündeten keine Atom-, biologischen sowie chemische Waffen einsetzen.“

Hauptmann Fechner hatte diese Erklärung seiner Untergebenen zwar nicht veranlaßt, dennoch sah das Bundesverteidungsministerium in ihm den „Rädelsführer“. Fechner wurde als Kompaniechef abgelöst und bekam einen „strengen Verweis“ verpaßt. Den Grund für seine Versetzung erfuhr der degradierte Kompaniechef aus einer Pressemitteilung des Verteidigungsministeriums: „Hauptmann Fechner ist in der jüngsten Vergangenheit mehrfach mit Auffassungen an die Öffentlichkeit getreten, die mit der Sicherheitspolitik der Bundesregierung und der gültigen Bündnisstrategie nicht übereinstimmen. (..) Seine politischen Aktivitäten haben außerdem in dem Bataillon zu einer Situation geführt, die eine Versetzung aus dienstlichen Gründen angebracht erscheinen läßt.“

Wenig später wurde das Verteidungsministerium noch deutlicher: der Hauptmann habe das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung „extensiv“ genutzt und dadurch „eine Situation heraufbeschworen, die im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit der Truppe nicht hingenommen, geschweige denn aufrechterhalten werden kann.“

Davon, könne wohl keine Rede heißt jetzt die Lektion des 1. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts an die Bundeswehr-Oberen. Auch wenn der Hauptmann eine „von der Meinung der Bundesregierung und der Führung der Bundeswehr abweichende politische Meinung vertritt“, könne er sich auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung berufen. Denn dies, so die Richter, „gilt auch für Soldaten“. Eine Versetzung des Kompaniechefs würde letztlich dazu führen, „politische Meinungsbildung und -äußerung zu beeinflussen und zu reglementieren“.

Damit erklärten die Richter sowohl den Verweis als auch die Strafversetzung des Kompaniechefs für rechtswidrig. Dem Zeitsoldaten Fechner kann diese Entscheidung bestenfalls eine späte Genugtuung sein. Er hat den Dienst längst quittiert und ist seit Juni '86 wieder „Bürger ohne Uniform“.