: Seehunde - unsere Brüder im Meer
■ Die Virus-Epidemie bedroht eines der schönsten Tiere an Nord- und Ostsee / Bestand der Robben wurde in den letzten Jahren mühsam gesichert / Sie frieren nicht, tauchen 40 Minuten und können im stürmischen
Seehunde - unsere Brüder im Meer
Die Virus-Epidemie bedroht eines der schönsten Tiere an Nord - und Ostsee / Bestand der Robben wurde in den letzten
Jahren
mühsam gesichert / Sie frieren nicht, tauchen 40 Minuten und können im stürmischen Wasser schlafen, säugen und vögeln
Von Manfred Kriener
Berlin (taz) - „Er ist ein einmalig schönes Tier. Das Profil seines Kopfes hat eine edle Einfachheit, die Linie von der Nase zum Schädel ist klassisch abgesetzt, und von vorn sieht man mit heimlichem Staunen in die großen schwarzen Augen mit ihrer unergründlichen Tiefe.“ Zoologen geht zuweilen das Vokabular aus, wenn sie Robben beschreiben. Kaum ein anderes Wasser-Tier hat derart die Herzen auf seiner Seite. Nichts ist so süß wie ein Robben-Baby, kaum ein anderes Tier mobilisiert in ähnlicher Weise Beschützerinstinkte. Um so mehr müßte man jetzt ein Aufheulen erwarten, nachdem das Krepieren der Tiere an einer unbekannten Virus-Epidemie Schlagzeilen macht.
Der Seehund (Phoca vitulina) gehört zur Art der Robben, neben der Kegelrobbe die einzige in Deutschland heimische. Jahrzehntelang wurde das Tier gejagt, bis das Aussterben der Tiere immer bedrohlicher wurde. 1935 wurde im „Jagdreichsgesetz“ das Abschlachten der Seehunde erstmals mit Jagd- und Schonzeiten geregelt. Als die 2.000 - 3.000 Exemplare in der Deutschen Bucht Ende der 60er Jahren auf 1.300 Exemplare geschrumpft waren, traten weitere Einschränkungen in Kraft bis zum völligen Verbot der Robbenjagd, das seit 1973 gilt. Was den Seehunden seit jeher den Garaus machte und ihre Art gefährdete, war die Jagd auf Jungtiere. Nur der junge Hund ist „voll verwertbar“, wie der Seehund-Jäger Walter Harcken berichtet: „In den ersten vier Wochen hat er nur mütterliche Milch zu sich genommen. Sein Fleisch schmeckt hervorragend, nicht die Spur nach Tran, eine Mischung aus Rehkeule und Wildschweinrücken. Die Leber des jungen Hundes ist eine Delikatesse, der Tran eignet sich vorzüglich zur Herstellung von Kartoffelpuffern...“ Das Fell des Seehundes ist vor allem von Jungtieren begehrt.
Spätestens seit den 60er Jahren ist der Seehund nicht nur durch die Keulen und Büchsen der Jäger gefährdet, sondern durch Streß, Chemikalien, Öl und Schmutz. Vor allem der Gifteintrag in die Nordsee schränkte die Vitalität der Tiere ein. DDT, Quecksilber, Cadmium und vor allem PCB schwächen den Seehund als letztes Glied der Nahrungskette. Die langlebigen Chemikalien reichert der Fischfresser in seinem Körper an. Im Schlick z.B. ist PCB vier- bis fünftausendmal, in Algen schon viermillionenmal und im Seehund 76millionenmal so konzentriert wie im Meerwasser, rechnete jetzt der 'Spiegel‘ hoch. Für Robben-Spezialist Peter Püschel von Greenpeace steht fest, daß der Seehund schon seit Jahren ein angeschlagenes Immunsystem hat. Die schlechte Wundheilung der Tiere, die verstärkt entdeckten Krebsgeschwüre und das frühe Sterbealter der Alt-Robben sind der offenkundige Beweis. Diese durch Umweltgifte ausgelöste Abwehrschwäche wird jetzt für die Epidemie verantwortlich gemacht. Nach Einschätzung von Püschel hat die Epidemie inzwischen den gesamten Jahrgang an Jungrobben eingehen lassen.
Der mühsam erzielte Zuwachs des Bestandes ist dahin. Anders als in den Niederlanden war es in den bundesdeutschen Gewässern gelungen, die Zuwachs- knapp über die Mortalitäsraten zu hieven. Wie stark die Gesamt-Population jetzt gefährdet ist, vermag indes noch niemand abzuschätzen.
Zurück zu unseren „Brüdern im Meer“: Die Seehunde haben mehr zu bieten als Knopfaugen und schöne Felle. Sie beherrschen es zum Beispiel, im Wasser bei stürmischem Wetter zu schlafen, Ohren und Nase schließen sich automatisch, sobald Wasser darüberschwappt. Der Seehund kann 40 Minuten tauchen und: Er friert nie. Eine dicke, kaum durchblutete Fettschicht umschließt seinen Körper.
Seehunde sind nicht nur geschmeidige Schwimmer, sie können auch im Wasser stehend bei beträchtlichem Wellengang „vögeln“, was „einwandfrei beobachtet“ wurde. Und nach erfolgreichem Akt kann - elf Monate später - das Neugeborene wasserdicht säugen, ohne daß die Muttermilch durch das peitschende Salzwasser verdünnt wird. Wahre KünstlerInnen!
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