LOCKER ZU JOE COCKER

■ Joe Cocker in Berlin-Weißensee

LOCKER ZU JOE COCKER

Joe Cocker in Berlin-Weißensee

Dem Drängler in der überfüllten Straßenbahn zur ehemaligen Radrennbahn in Weißensee wird lachend klargemacht: „Jehn ma locker zu Joe Cocker!“ 85.000 Leute haben sich am Mittwoch abend auf den Weg zu einem der größten Rockkonzerte in der Geschichte der DDR gemacht. Kurzfristig eine Eintrittskarte zu bekommen, war diesmal verhältnismäßig einfach: Ein Freund hat einen Freund, der zwar nicht in der veranstaltenden FDJ ist, aber... lassen wir das lieber.

Alle sind gespannt auf dem Gelände. Das Bob-Dylan-Konzert im letzten Jahr fand ja noch in Treptow statt und blockierte für Stunden die einzige Ost-Berliner Ausfallstraße nach Süden. Nach langem Suchen kam die FDJ-Leitung endlich auf die alten Sportanlagen in Weißensee. Der Nachteil: schlechte Verkehrsverbindung und das Gelände war in einem erbärmlichen Zustand. Eine Woche vor dem Konzert begann der Großeinsatz: Hunderte sowjetischer Soldaten planierten gemeinsam mit Volksarmisten Fußballplätze, rissen Baracken ein, trugen Schutthalden ab, legten Tausende von Quadratmetern Rollrasen und Split aus.

Die Abendregie haben die aus den Betrieben abkommandierten Ordnungstruppen der FDJ unternommen. Ein flüchtiger Blick auf die Karte, sechsmal (!) werden wir nach Flaschen kontrolliert. Die Besucher scheint der Einsatz der FDJ -Jüngelchen nicht weiter zu stören - vermutlich haben sie früher selber für die Jugendorganisation Dienst schieben müssen.

Bei der technischen Organisation allerdings ist die FDJ überfordert: Die riesige PA kommt aus dem Westen, die einzelnen Lautsprechertürme sind von den verschiedensten DDR -Profi-Gruppen zusammengeliehen. Mit Erfolg. Der Sound ist sehr gut. Außerdem wird erstmals in der DDR bei einem Rockkonzert eine Video-Großprojektion im Freien aufgebaut, die dann auch stürmischen Beifall bei den Fans hervorruft.

Die heimische Vorgruppe NO55 (die Ost-Berliner Stadtteilentsprechung zu SO36) versucht mit Liedern über alleingelassene „Schlüsselkinder“ Stimmung zu machen. Dann aber: Joe Cocker. „Erinnerungen an Woodstock werden wach“ ('BZ‘ am Abend). Cocker singt von Whiskey und Kokain (da klascht der uniformierte VoPo), er singt von verlassenen Männern (da klascht die Stasi), er spricht von Background -Sängerinnen als „my babies“ (da klascht die Punkerin) und er singt „With a little help from my friends“ als Zugabe (da klaschen alle).

Die Stimmung bleibt diszipliniert, es gibt keinen Alkohol zu kaufen, und alle sind froh, einen richtigen, wenn auch nicht mehr ganz jungen Star live zu erleben. „Wenn mir einer vor 15 Jahren gesagt hätte, ich würde den mal sehen, den hätte ich für verrückt erklärt“, sagt ein Besucher.

15 Mark (Ost) betrug der Eintritt. Die Generalprobe für die DDR ist gelungen. Wenn Mitte des Monats Pink Floyd und Michael Jackson vor dem West-Berliner Reichstag spielen, werden in der Hauptstadt parallel dazu große Open-Air -Konzerte stattfinden, um eventuelle Randale vor dem Brandenburger Tor zu vermeiden. Wieder mit dabei: Joe Cocker.Brian Schuster