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Eisige Kälte im Glas

■ Er ist grau und schmeckt nach nichts - die klägliche Existenz des Eiswürfels: Pur will ihn keiner, im Getränk ist er unabdingbar

Eisige Kälte im Glas

Er ist grau und schmeckt nach nichts - die klägliche

Existenz des Eiswürfels: Pur will ihn keiner, im Getränk ist er unabdingbar

Eiswürfel haben etwas Tragisches. Im Gegensatz zum ihnen entfernt verwandten Speiseeis werden sie nicht verzehrt, gelutscht, gegessen: Sie sind nur da, um zu schmelzen, sich in ihren ersten Aggregatzustand aufzulösen. Speiseeiskugeln werden in Waffeln präsentiert, die sie optisch in den Mittelpunkt rücken; sie sind gelb, grün, rot oder blau, schmecken süß, sauer, herb oder fruchtig, können mehrere Unterklassen vorweisen: Wassereis, Milcheis, Softeis, Fruchteis. Der Eiswürfel führt dagegen eine ganz banale, klägliche Existenz. Er ist grau, schmeckt nach nichts. Seine einzige Eigenschaft, die er per se besitzt, ist die Kälte. In größeren Mengen, beispielsweise in der Antarktis, schimmert der Eiswürfel ein wenig bläulich. Aber wer käme schon auf die Idee, dort einen Southern mit Ginger Ale zu trinken.

Über Eiswürfel zu schreiben, scheint also überflüssig. Gäbe es da nicht Cointreau - der Likör, der gar keiner ist und seit Jahrzehnten schon mit dem unglaublichen Unterschied Reklame macht.

Die These, das Eiswürfel verzaubern können, gilt nicht nur für Cointreau. Stellen wir uns vor: Baileys, ohne Eis. Grasovska, ohne Eis. Bourbon, ohne Eis: ein Albtraum. Schließlich: Coca Cola. Petula Clark, die sich in den Sechzigern mit „Coca Cola is it“ in die amerikanischen Charts sang, verkündete nur die halbe Wahrheit. Nicht Coca Cola is it, sondern die drei Eiswürfel im Glas, das kondensierende Wasser, das am Rand runterperlt. Das ist es: Es klirrt, es schwingt, es hat etwas unsagbar Leichtes. Leitungswasser, im zweiten Aggregatzustand, in Form hexagonaler Kristalle, - das ist der Kick der Limonadenindustrie. Und was wäre schließlich die postmoderne Cocktailkultur ohne diesen hellen Klang in der Schale? (Der einzige, der in diesem Zusammenhang cool blieb und sich gegen das Partygeplänkel zur Wehr setzte, war übrigens James Bond: „Martini bitte, aber ohne Eis!“)

Cointreau hat sich, spätestens Ende der Achtziger, völlig vom Eiswürfel abhängig gemacht. Im Kinowerbespot wird nicht mehr alternativ gefragt: Mit oder ohne, aber beides gut! Ein überdimensionaler Eisquader bestimmt das Geschehen, macht den Spannungsbogen aus. Ein gutaussehender Kerl, Ende 20, schleppt das Ding auf seiner Linken Schulter ins Bild. Dazu: Fagott, melodiös, balladenhaft, in einem Schloß mit barocker Treppe und Kristallüster, die Frau, die am Tresen steht und den Burschen mit ihren Blicken verfolgt, lächelt. Dann knallt der Typ den Quader auf die Theke, das Eis zerspringt zeitlupenhaft in tausend Stücke. Auf diesen Moment haben wir alle gewartet. „If you've got the ice, I've got Cointreau!“ säuselt der Barkeeper: Aber eben nur dann. Die Schöne an der Bar findet das gut. „Singitagaiin...“ Und im Publikum schmilzt es.C.C. Cool

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