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: Schelte der Presse, Lob den Fans Volker Ippig, Torwart des Aufsteigers St.Pauli, griff für die taz zur Feder

PROFI - WORTE

Schelte der Presse, Lob den Fans

Volker Ippig, Torwart des Aufsteigers St.Pauli, griff für

die taz zur Feder

Das erstaunte Laien und Experten gleichermaßen: Der FC St.Pauli schaffte den direkten Aufstieg in die erste Liga. Und dies, obwohl alle Beteiligten mit einem Platz im oberen Mittelfeld zufrieden gewesen wären. Aber was ist dagegen zu tun, wenn es keine drei oder vier Mannschaften gibt, die besser sind. „Viel zu früh“, lese und höre ich jetzt allenthalben, sei der Aufstieg gekommen. Das „Spielermaterial“ sei nicht erstligatauglich.

Überhaupt: Spielermaterial! Als ob die anderen Kicker der Eliteklasse nicht auch aus Fleisch und Blut bestünden, die Muskeln nicht zu vergessen. Ich möchte nicht wissen, was los wäre, würde unsere Mannschaft jenen Journalisten in der Stadionzeitung bescheinigen, daß sie mit ihrer Berichterstattung in der Kreisliga besser aufgehoben wären. Und sowieso sollten sich die Redaktionen einmal überlegen, ob ihr „Schreibermaterial“ überhaupt zeitungstauglich ist.

Mich über das, was da so alles geschrieben wird, aufzuregen, habe ich mir abgewöhnt. Das geht am einfachsten, wenn ich erst gar nicht damit anfange nachzulesen, wie ich denn gespielt haben soll. Daß ich nicht der fehlerlose Torwart schlechthin bin, weiß ich selbst, und ansonsten hat das, was meiner Leistung betreffend in der Zeitung steht, die gleiche Wichtigkeit wie für einen Eskimo die Oberflächentemperatur auf dem Jupiter.

Was ich meine ist, daß hier nicht die Leistung beurteilt wird, die einer bringt, sondern seine Ligazugehörigkeit. Kriegt der Immel von der Mittellinie einen Ball in den Kasten gesetzt, hat er einen schlechten Tag, passiert das dem Ippig oder jedem anderen Zweitliga-Keeper, dann heißt es, der hat keine Ahnung von Stellungsspiel. Dann bringt doch bitte nur noch Bilder auf der Sportseite! Doch genug davon, sonst fange ich doch tatsächlich an, mich aufzuregen. Und zum Aufregen gibt es wahrlich anderes auf der Welt als die Berichterstattung über Fußball.

Aber zurück zur Lederkugel: Für mich war es auch in dieser Saison zu allererst ein Kampf um den Stammplatz im Tor des FC St.Pauli. Auf keiner Position ist der Konkurrenzkampf derart zugespitzt, und auf keiner Position stehst du so unter Druck. Es ist schon nicht von ungefähr, daß die Torleute selten die dicksten Freunde im Team sind. Im Gegenteil. Ich mußte verdammt aufpassen, keine Haßgefühle gegenüber meinem Konkurrenten Klaus Thompforde zu entwickeln, gar zum Intriganten gegen ihn zu werden. Und da es ihm wohl nicht viel anders gegangen sein wird, fand ich es unheimlich gut, daß wir uns nach dem 1:0-Sieg in Ulm in den Arm nehmen und uns gemeinsam freuen konnten.

Na klar, habe ich mich gefreut über den Aufstieg, und daß es jetzt mehr Geld gibt, ist auch in Ordnung. Schließlich ist in jedem stinknormalen Betrieb die Beförderung vom Arbeiter zum Vorarbeiter mit einer Lohnerhöhung verbunden. Für mich ändert sich erstmal wenig. Auch in der ersten Liga ist das Tor nicht breiter oder höher, und auch der Ball ist nicht runder, als er es schon zu Sepp Herbergers Zeiten war.

Und dann haben wir noch unseren 12. Spieler, das fantastische Publikum am Millerntor. Es kommt wohl nicht allzu häufig vor, daß sich Mannschaft und Fans so gut verstehen. So gut wie nie wurden wir Spieler einmal ausgepfiffen. Im Gegenteil: Wenn gar nichts klappen wollte, setzte der berüchtigte Millerntor-Roar ein, und jedem auf dem Platz war klar, hier wird gekämpft und nicht der Kopf hängengelassen. Ich hatte oft das Gefühl, als würden Tausende schreien: „Jetzt reißt euch aber zusammen, wir wollen schließlich aufsteigen, und jetzt tut mal was dazu, wir tun ja auch, was wir können.“

Ich denke, es war eine Art Wechselwirkung, das Publikum hat gespürt, daß wir uns bemühten, so gut zu spielen, wie wir konnten, und wenn es dann nicht reichte, waren wir zusammen traurig, aber es gab keinen Grund, verärgert zu sein. Es stünde dem Verein gut an, im Rahmen der Vorbereitung auf die neue Saison am Millerntor ein Fest für die Fans zu veranstalten.

Und was die oft zitierte Macke der Torhüter angeht, wahrscheinlich habe ich die, daß ich mir jedes Jahr nach Saisonschluß für die taz etwas aus den Fingern saugen muß. Und das ist ja auch nicht das Übelste. Oder?

Volker Ippig spendet das Honorar für diesen Artikel einem Projekt in Nicaragua, an dem er selbst mitgearbeitet hat.