Katastrophismus

■ Hollywood-Mythen und Algenteppiche

K O M M E N T A R Katastrophismus

Hollywood-Mythen und Algenteppiche

Die Dramaturgien von Hollywood-B-Filmen, die Comics zeigen es schon längst. Diese Produktionsstätten mythologischer Waren arbeiten an der Spitze menschlicher Ängste. Bevor die kritischen Analytiker die Drehbücher künftiger ökologischer Desaster und gentechnischer Drohungen erstellen konnten, sind sie in den Studios der B-Filme abgedreht worden. Seit den ersten Atombomben-Tests hausen die rächenden Naturkräfte, die Ungeheuer, die Mutanten, haust das ganze mutierte Gribbelgrabbelzeugs in unseren Hirnen. Jahrzehnte bevor die Grünen Kassandra entdeckten, war sie eine Medienfigur, so fest umrissen wie Donald Duck.

Aber die Welt der Katastrophen-Serien hat sich in den letzten zehn Jahren geändert. Wenn früher die mutierten Ameisen oder der Schleim aus dem Weltraum angriffen, stand die Familie in ihrem Eigenheim im Brennpunkt. Die Gefahr zieht herauf. Politiker reden - ganz nach dem schönen Schlagzeilenmodell: „Algen wandern - Politiker reden.“ Der männliche Teil des attackierten Liebespaars will radikal kämpfen, geleitet von der Hysterie der Frau. Die schwätzenden Realpolitiker, die noch Expertisen brauchen, werden beiseite gedrückt: Der Ruf nach dem Staatsapparat erschallt. Der Familienvater verliert die Nerven nicht. Schließlich greift die Nationalgarde ein, rettet die Familie knapp am Rand des Untergangs. So war es, so ist es aber nicht mehr. Seit Jahren schon siegen die Spinnen, der Weltraumschleim, die Mutanten. Die Nationalgarde, der Staat, alle schnellen Eingreifsreserven dieser Gesellschaft werden vom Unheil überrollt. Dem Familienvater bleibt nur ein starrer Blick aufs Ende der Weltgeschichte. Der Topos vom unaufhaltsamen Wachsen hat alle Dramaturgien der Rettung geschluckt.

Der entfesselte Algenteppich am Skagerrak konnte direkt aus den Studios kommen. Die Botschaft von der Rache der Natur überrascht uns so wenig wie die Werbung von der neuen Milchschnitte. Wir gehen zur Tagesordnung über, nicht weil wir abgestumpft sind, sondern weil unsere Katastrophenerwartung schon sehr viel weiter ist. Wäre das also das deprimierende Fazit der Algeninvasion? Nun, in den B-Filmen gibt es immer eine vorübergehende Phase der Vernunft, eine kleine Demokratie-Thematik. Angesichts der heraufziehenden Katastrophe bilden sich wechselnde Koalitionen handelnder Menschen. Alte Parteiungen und Politikschemata werden durchbrochen. Für einen Moment taucht statt der puren Forderung, die Katastrophe zu liquidieren, der Anspruch auf, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Diese leise Stimme der Vernunft innerhalb der Trompetenstöße der Apokalypse läßt sich hören - nicht nur in B-Filmen, sondern manchmal sogar in der Wirklichkeit.Klaus Hartung