: Algen-Entwarnung mit Vorbehalt
■ Norwegen: Giftige Algeninvasion auf dem Rückzug / Osloer Regierung will gegen Überdüngung vorgehen
Algen-Entwarnung
mit Vorbehalt
Norwegen: Giftige Algeninvasion auf dem Rückzug / Osloer
Regierung will gegen Überdüngung vorgehen
Berlin/Bergen (taz/ap) - Die giftige Algeninvasion in Norwegen scheint ihren Höhepunkt überschritten zu haben. Nördlich von Stavanger wurde am Donnerstag ein drastischer Rückgang des Algenteppichs beobachtet. Im Skagerrak, in dem die Algen fast alles Meeresleben vernichtet haben, ist die Algenkonzentration jedoch nach wie vor hoch.
Der Chef des Meeresforschungsinstituts in Bergen, Grimberge, hält Nahrungsmangel für die Ursache des plötzlichen „Algensterbens“. Danach haben die giftigen Algen die Nährstoffe an der Meeresoberfläche „abgegrast“ und suchen nun in tieferen Wasserschichten nach Nahrung.
Dort können sie wegen ihrer Lichtabhängigkeit jedoch nicht überleben. Daß neue Algenteppiche nachrücken, hält Grimberge für unwahrscheinlich, will es aber auch nicht völlig ausschließen. Insofern könne man noch keine völlige Entwarnung geben.
Unterdessen haben die norwegischen Fischfarmer damit begonnen, ihre Bestände aus den geschützen Fjorden zu den angestammten Zuchtplätzen zurückzutransportieren.
Obwohl die Fischfarmer mit Verlusten von umgerechnet etwa 270 Millionen Mark die gravierendsten wirtschaftlichen Folgen der Katastrophe tragen müssen, herrscht allgemein große Erleichterung. Vereinzelt wurden Freudenfeste gefeiert und als Festessen Hummer geschlachtet.
Für die norwegische Südküste hat die Regierung eine Schadenserhebung durch Taucher angekündigt. Insgesamt sind etwa 600 Kilometer der Küstengewässer durch die Katastrophe beeinträchtigt.
Die Umweltministerin des Landes, Sissel Roenbeck, hat ein umfangreiches Regierungsprogramm vorgelegt, das derartige Katastrophen für die Zukunft vermeiden helfen soll. Insbesondere will sie die Meeresverschmutzung durch die Landwirtschaft abbauen. Nach Angaben der Ministerin werden 12.000 bis 13.000 Betriebe von neuen Bestimmungen über landwirtschaftliche Abfälle betroffen sein. Ziel sei es, die Umweltverschmutzung in den kommenden drei bis fünf Jahren um 60 bis 90 Prozent zu reduzieren. Ungeachtet der Erleichterung Fortsetzung Seite 2
Kommentar Seite 4
FORTSETZUNGEN VON SEITE 1
Algen...
Über den Rückgang der Algen geht das Robbensterben an den dänischen und bundesdeutschen Küsten weiter. In Dänemark wurden inzwischen fast 400 tote Robben gezählt. Auf Sylt stieg die Zahl der angeschwemmten toten Tiere auf 52. Der neue schleswig-holsteinische Umweltminister Berndt Heydemann hat gestern vor einer „Ökosystem-Katastrophe“ des Meeres gewarnt. Es müsse mit Auswirkungen gerechnet werden, die noch über das durch Algen verursachte Fischsterben von den skandinavischen Küsten hinausgingen. Heydemann sagte, die Algen vor Norwegen, Schweden und Dänemark würden nach ihrem Absterben in tiefere Wasserschichten sinken und bei der bakteriellen Zersetzung viel Sauerstoff verbrauchen. Zusätzlich zum schon jetzt beobachteten Fischsterben sei dann auf dem Meeresgrund ein Tiersterben „in riesigem Umfang“ zu befürchten. Das massenhafte Auftreten der Algen sei weit gefährlicher als das Robbensterben.
„Die Algenvermehrung ist ein Katastrophenzeichen an der Basis der Nahrungspyramide mit entsprechend umfassenden Auswirkungen im übrigen Netzwerk der betroffenen Nordseebereiche“, erklärte der Umweltminister.
Heydemann kündigte an, daß Schleswig-Holstein unabhängig vom Verhalten des Bundes und anderer Nordseeanliegerstaaten „sofort politisch handeln“ und versuchen werde, den für die Algenvermehrung ursächlichen Nährstoffeintrag in die Nordsee zu verringern. Einzelheiten und konkrete Schritte konnte der Umweltminister nicht nennen. Zunächst sollen Gespräche mit Klärwerksbetreibern und Landwirten geführt werden.
Richtlinien des Umweltministeriums, die auf eine extensivere Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen an Flüssen abzielten, werde es nur geben, wenn es nicht zu freiwilligen Maßnahmen komme. Auf das Robbensterben eingehend, sagte Heydemann, auch hier könne langfristig nur durch eine „drastische Senkung der Schadstoffzufuhr in die Nordsee“ geholfen werden. Eine Möglichkeit, die durch Viren ausgelösten tödlichen Erkrankungen zu heilen, gebe es nicht.Gunnar Köhne/Gerd Rosenkranz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen