Der Schwarze Islam und die Macht in Senegal

■ Mullahs, Derwische und Marabuts bestimmen die Politik im Staate des aufgeklärten Ex-Präsidenten Leopold Senghor / Die islamischen Bruderschaften bieten nicht nur moralische Sicherheit - sie kont

Der Schwarze Islam und die Macht in Senegal

Mullahs, Derwische und Marabuts bestimmen die Politik im

Staate des aufgeklärten Ex-Präsidenten Leopold Senghor / Die islamischen Bruderschaften bieten nicht nur moralische

Sicherheit - sie kontrollieren auch einen großen Teil der

Wirtschaft / Das Muridentum als Revanche Schwarzafrikas

gegen die europäische Moderne?

Aus Dakar Knut Pedersen

Die Beine verschränkt wie ein Derwisch in der Wüstenei sitzt der kleine Junge auf der Werkbank und hämmert unermüdlich auf schwarzes Blech: das Unterteil eines Kfz-Luftfilters wird soeben zur Bratpfanne ausgeschlagen. Solcherart „Recycling“ ist auf dem Sandaga-Markt in der senegalesischen Hauptstadt gang und gäbe. „Aus Soldatenhelmen kann man ganz einfach Schmortöpfe machen“, erklärt Abdou, und nebenbei: „Ich bin vor drei Wochen zwölf geworden.“ Was nichts daran ändert, daß er bereits auf ein reiches Arbeitsleben zurückblickt. Erst hat er alte Nägel aufgelesen und an Zimmerleute verkauft, bis er „vor ein paar Jahren“ in den Dienst eines Marabuts trat. Abdou ist nämlich tatsächlich einDerwisch: Im geläufigen Sinne als Mitglied einer islamischen Bruderschaft und im etymologischen Hintersinne ebenfalls, denn Derwisch bezeichnet im Persischen „Armut“. Wie inzwischen schätzungsweise anderthalb der insgesamt sieben Millionen Senegalesen ist Abdou Muride, d.h. Glaubensgänger der von Amadou Bamba vor rund hundert Jahren gegründeten islamischen Bruderschaft.

Was das heißt ? Für den hämmernden Knaben auf der Werkbank ist es der „Weg ins Paradies“. So jedenfalls betitelte der Gründervater des Muridentums seine blumige Lyrik, in der sich unter anderem folgende treffende Maxime findet: „Sei wie der kleine Esel, der das Getreide trägt, ohne es zu fressen.“ Abdous Leben paßt ins Bild. Seine Existenz gründet sich auf harte Arbeit, grenzenlose Demut und unbedingten Gehorsam gegenüber seinem „Meister“. Im Gegenzug sichert der Marabut seinem Schüler („Talibe“) materielle und moralische Sicherheit. Im Diesseits wie im Jenseits wird er Mitglied sinnstiftender Gemeinschaft. Was kann ein kleiner Esel mehr erwarten?

Sieben Dürrejahre im vergangenen Jahrzehnt haben die senegalesischen Marabuts von der Notwendigkeit überzeugt, sich die städtische Warenwirtschaft anzueignen. Das gilt für die Muriden wie für die zahlreichen anderen islamischen Bruderschaften des Landes: Vor dem Mammon sind sie alle gleich. Dakars Bürotürme und Wohnblöcke gehören denselben reichen Marabutfamilien, die auch das Transportwesen beherrschen und mittlerweile sogar den Libanesen den Großhandel streitig machen. Unterdessen fliegen kleine, zukunftshungrige Abdous nach New York und stopfen sich die Taschen mit elektronischen Gadgets voll. Denn mit Taschenrechnern und Heimcomputern wird Geld für die gute Sache gemacht: Für den Kampf gegen die „Bidda's“, die häretischen Neuigkeiten westlicher Zivilisation.

Ironischerweise wäre der Triumpf der islamischen Bruderschaften im Senegal ohne das Vordringen westlicher Zivilisation kaum denkbar gewesen. Die Lehre Amadou Bambas verbreitete sich im Gefolge der ersten Eisenbahnlinien zwischen Dakar und St. Louis einerseits und This und der malischen Grenzstadt Kayes andererseits. Desgleichen setzten die Marabuts und ihre Schüler resolut auf die von der französischen Kolonialmacht vorangetriebene Exportkultur: Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts beherrschen sie den Anbau von Erdnüssen, bis vor wenigen Jahren die mit Abstand wichtigste Devisenquelle des Landes. Und noch heute werden Tausende von Hektar von selbstlosen Talibe bestellt. Ihre unvergoltene Arbeit im Dienste von rund 7.000 großen und kleinenMarabuts legt den Grundstein für „brüderlichen Reichtum“.

Schmuggler im

Dienste Gottes

Das strahlend weiße Minarett der größten Moschee Afrikas ragt 87 Meter hoch in den blauen Himmel Toubas, der heiligen Stadt der Muriden. Hier, nur knapp 250 Kilometer nordöstlich von Dakar, endet die weltliche Macht der senegalesischen Regierung: Denn in Touba sehen allein die Mbaye Fall, die in farbiges Patchwork gehüllten „Soldaten Gottes“ nach dem rechten. Und recht ist, was dem Generalkalifen der Muriden billig ist: Das Verbot von Alkohol und Nikotin ebenso wie der blühende Schwarzhandel von Waren, die praktisch zollfrei aus dem südlichen Nachbarland Gambias eingeführt werden. Nach vorsichtigen Schätzungen prellt der von Muriden betriebene Schmuggel den senegalesischen Staat jährlich um rund 120 Millionen DM. „Das ist die Grundgebühr für politische Stabilität“, erklärt achselzuckend ein Parteigänger der Macht.

Im vergangenen Februar wurde Präsident Abdou Diouf trotz virulenter Opposition in den Städten mit 73 Prozent in seinem Amt bestätigt - dank des Votums einer Landbevölkerung, die im Zweifel noch immer „mit den Minaretten stimmt“. Tatsächlich haben die großen und kleinen Marabuts ihre Wahlentscheidung auch für ihr Fußvolk getroffen. Der Kalif der Muriden, der bei weitem bestorganisierten islamischen Bruderschaft, verkündete gar eine bindende Wahlverpflichtung: Wer nicht für Abdou Diouf stimme, der verstoße gegen die Lehre des Gründervaters Amadou Bambas... Andere religiöse Führer, beispielsweise der zahlenmäßig starken Tidjane-Sekte, waren weniger explizit. Aber die mehr oder weniger diskrete Beeinflussung ändert nichts am Umstand, daß die senegalesischen Marabuts die Rolle der amerikanischen „Wahlmänner“ spielen. Mit dem bedeutsamen Unterschied, daß sie nichts und niemand demokratisch legitimiert.

Erdnüsse fürs Himmelreich

Der geistliche und politische Einfluß der Muriden im Senegal gründet sich auf wirtschaftliche Macht, denn die Marabuts und Kalifen sind nicht nur Zwischenhändler des Gottesreiches. In den Städten und vor allem auf dem Land arbeiten zahllose Dahiras - eine Art religöser Basisgruppen oder Urgemeinschaften - für den Reichtum ihrer geistlichen Obrigkeit. Der weitgehend von Muriden beherrschte Erdnußanbau gibt eine Vorstellung vom Ausmaß solchen Reichtums: In den vergangenen vier Jahren hat sich das Realeinkommen mehr als verdoppelt und beläuft sich heute auf rund 360 Millionen DM.

Was freilich nicht möglich gewesen wäre ohne den staatlich garantierten Kaufpreis, der doppelt so hoch ist wie das derzeitige Weltmarktniveau. Die Folge: Ein jährliches „Loch“ im Staatssäckel von rund 180 Millionen DM. Am 1. Mai sah sich denn auch Staatspräsident Abdou Diouf gezwungen, den Subventionspreis um ein Viertel zu senken. Hat er sich damit, wie manche munkeln, den „politischen Totenschein“ ausgestellt? Die Frage beweist zumindest, daß man den politischen Einfluß der Muriden im Senegal kaum überschätzen kann. Präsident der weltlichen Republik kann in der Tat nur werden oder bleiben, wer über die Unterstützung der religiösen „Wahlmänner“ verfügt. Ist der Senegal damit nicht bereits zu jener „Republik der Mullahs“ geworden, die von den Kreuzrittern des Laizismus als Gefahr an die Wand gemalt wird? Oder anders gefragt: Bereiten die Muriden und andere „Sekten“ nicht den Boden für die integristische Saat? Wer bei der Grundsteinlegung für die Moschee in Touba die Fanatiker sah, die den geweihten Speis aufleckten, wird kaum am Potential irrationaler Energien zweifeln.

Staats-Macht Islam

Mindestens neun Zehntel der senegalesischen Bevölkerung bekennen sich heute zum Islam - selbst im Süden und im Stammland der Serer, wo noch vor einer Generation der Stuhl verbrannt wurde, sobald der muselmanische Handelsreisende sich erhoben und das Dorf verlassen hatte. 45.000 Moscheen ragen in den senegalesischen Himmel, und in den Städten vermehren sich die „Freunde des Koran“ und andere islamische Lesezirkel. Zahlreiche religiöse Publikationen und selbst „integristische Revuen“ finden ihr Publikum, vor allem in intellektuellen Kreisen, wo es chic geworden ist, ostentativ „seinen Glauben zu leben“. Der im März aus der Regierung entlassene Erziehungsminister Iba der Thiam folgte der islamischen Orthodoxie bis in die Weigerung, weiblichen Gästen die Hand zu schütteln. Andere fordern offen die Ausrufung eines „islamischen Staates“ und bereits 1979 gründete Ahmed Khalifa Niass die erste „Islamische Politische Partei“ Schwarzafrikas.

Auch wenn sie scheitern, stehen solche Initiativen im Senegal auf solidem historischen Grund. Sie folgen anderen Versuchen, den „islamischen Sonnenstaat“ zu errichten oder das mythische Pakistan, das „Land der Reinen“, zu finden. Ein halbes Jahrhundert lang, bis 1984, haben so z.B. die rund 15.000 Einwohner von Madina-Gounasseals verschlossene Glaubensgemeinschaft gelebt.

In den Mauern der kleinen Provinzstadt im Südosten des Landes standen die Gebote des Koran für Recht und Ordnung: Tanz und Spiel - in Schwarzafrika - waren untersagt und die unverschleierten Frauen in den Hinterhof verbannt. Es gab weder Bürgermeisterei noch Polizeistation und nicht einmal ein Postamt - die geplante Eröffnung einer Bankfiliale und die Durchreise verirrter Touristen aus dem nahegelegenen Niokolokoba-Nationalpark haben hier in den siebziger Jahren gewaltsamen „Widerstand“ provoziert. Gewaltsam auch wollte Moustapha Lc der Präsidentschaft Leopold Sedar Senghors ein Ende setzen, als er sich am 22. März 1967 auf den christlichen Staatschef stürzte. Der Anschlag wurde in der großen Moschee Dakars am Tage des Tabaskifestes verübt, das an die Opfergabe Abrahams erinnert. Der symbolische Zusammenhang war mithin ebenso klar wie der Geisteszustand des Attentäters, der im übrigen aus einer bekannten senegalesischen Marabutfamilie stammte. Moustapha Lc war kein Verrückter, genauso wenig wie jener Lieutenant Elistambouli, der sich zwölf Jahre später mit mehr Erfolg auf den ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadate stürzte. Auch er, wie er später bekannte, „um den Islam zu retten“. Anders als in Ägypten gibt es heute im Senegal aber keinen subversiven oder gar gewaltsamen Integrismus. Der Katholik Leopold Sedar Senghor ist noch dreizehn Jahre an der Macht geblieben - unter anderem dank der rückhaltlosen Unterstützung von Seiten der Muriden. Und Madina-Gounasse unterscheidet sich heute kaum von vielen anderen Städten in der entlegenen senegalesischen Provinz, auch wenn der sittenstrenge Ort noch immer keine Hochburg von Permissivität geworden ist. Aber die Elektrifizierung vor vier Jahren hat den insidiösen Einzug der „Moderne“ ermöglicht: Inzwischen haben Fernsehen und Fernsprechamt der Jugend das Rauchen beigebracht und auch, daß man im reichen Abendland statt Schleier eher Jeans trägt. Religiöser Exzess ist heute verbunden mit dem Auswuchs jener westlichen Universalkultur, deren Herrschaft über die Köpfe von Menschen geht, die mit stolzem Trotz ihr Haupt erheben: Integrismus bedeutet für sie - Raum und Gegenrevolution auf dem Boden einer desintegrierenden Moderne.

Im Senegal haben die Muriden diesen Boden bereits bestellt und besetzt: Abdou, der kleine Derwisch vom Sandaga-Markt, findet Arbeit, Solidarität und seelischen Halt in einer Glaubensgemeinschaft, die inmitten modernen Umbruchs neue Brüderlichkeit stiftet. Zum materiellen Wohle der Marabuts und des Generalkalifen ? Das ist vielleicht der Ansatzpunkt einer „integristischen“ Radikalisierung, welche die mäßigende Macht des Muridentums aus den Angeln heben könnte. Ein weiser Mann, Hampateba, hat vom Islam in Schwarzafrika gesagt, er habe so wenig Farbe wie das Wasser.“ Das erklärt seinen Erfolg: er nimmt die Farbe der Scholle und der Steine an“. In diesem Sinne ist das Muridentum nichts anderes als die erfolgreichste Aneignung des Islam im Senegal: eine stammesübergreifende, ganzheitliche und symbolstiftende Bruderschaft, die im neuen Glauben ein gemeinsames kulturelles Erbe bewahrt. Die Mittlerfunktion der Marabuts, das gemeinschaftliche Leben in den Dahiras, der Glanz und die Pracht der heiligen Pilgerstadt Touba, die zum nationalen Mekka wird, sind synkretische Elemente, die zwischen Vergangenheit und Zukunft Brücken schlagen. Der islamische Glauben färbt sich ein ohne Furcht, seinen universellen Anspruch zu verlieren. Er wird zum „Schwarzen Islam“, wie es in vergleichbarem Sinne kein“ schwarzes Christentum“ gibt.

Ein vom Islam bedrängtes Abendland sucht Parallelen und findet Mythen. Die „integristische Überspülung Schwarzafrikas“ ist ein solches Trugbild. Denn der unbestreitbare - Erfolg des Islam südlich der Sahara ist weniger ein Siegeszug denn eine historische Revanche. „Mit dem Pflug kommt die Schande ins Haus“, verkündete der Prophet Mohammed in der arabischen Wüste. Zwölf Jahrhunderte später beweisen ihm die Bauern Schwarzafrikas das Gegenteil: sie nehmen seinen Glauben an und sein Glaube die Farbe ihrer Scholle.