Nuttendenkmal auf dem Kudamm

■ Denkmalenthüllung und Straßen-Talk-Show zur Lage der Prostituierten erinnern an den Start der Prostituiertenbewegung vor 13 Jahren

Nuttendenkmal auf dem Kudamm

Denkmalenthüllung und Straßen-Talk-Show zur Lage der

Prostituierten erinnern an den Start der

Prostituiertenbewegung vor 13 Jahren

Aus Berlin Elmar Kraushaar

„Da wissen wir, wo wir hingehen können, wenn wir mal arbeitslos sind“, zwei Zuschauerinnen stoßen sich an und betrachten interessiert die Frauen auf dem Joachimstaler Platz in Berlins City, die gerade ein Denkmal für das Gewerbe enthüllen: Eine Prostituierte streckt sich unter einem Leinentuch hervor und wehrt sich gegen eine durchsichtige Plastikfolie, mit der sie erneut verdeckt werden soll. Berliner Nutten und Nüttchen haben sich in Erinnerung an die Kirchenbesetzung in Lyon (siehe Kasten) den 2. Juni ausgesucht, um mit ihrem Radio Prosnost am Kurfürstendamm die Öffentlichkeit auf ihre Belange aufmerksam zu machen.

„Wir wollen zum Ausdruck bringen, daß wir über unsere Köpfe, Brüste, Bäuche und Mösen - über unser Leben selbst bestimmen wollen“, heißt es in dem Aufruf zum Informations -Happening. Vertreterinnen von Parteien, Gewerkschaften, den Kirchen und aus der Frauenbewegung sind am Nachmittag des Fronleichnamtages eingeladen, in der Straßen-Talkshow ihr Verhältnis zur Prostitution und zu den arbeitenden Frauen im Gewerbe zu klären. „Halten Sie Prostitution für notwendig?“, fragt die Moderatorin Pieke Biermann ihren weiblichen Gäste. Die Antworten bewegen sich immer wieder auf die gleiche Formel zu: Um die Not der Frauen zu wenden, ist die Prostitution zur Sicherung des Lebensunterhalts notwendig. Daß es mit der Ausübung des Gewerbes nicht so einfach ist, erfahren die PassantInnen von den Talk-Show-Gästen. Micaela Riepe, bei der Deutschen AIDS-Hilfe zuständig für den Bereich Prostitution, warnt vor der „schlimmen Verbindung“ Prostitution und AIDS. Die Frauen hätten längst die Gefahren der Krankheit erkannt und daraus ihre Konsequenzen gezogen. Jetzt sei es einzig an den Freiern, umzudenken und das Präservativ zu benutzen.

Wie schwierig es ist, in Aids-Zeiten verantwortungsvoll zu arbeiten, erläutert sie am Beispiel der Kleinanzeigen in den Boulevardblättern: Das Wörtchen „Sex“ darf darin nicht vorkommen, und deshalb könnten Frauen auch nicht mit dem Hinweis auf „Safer Sex“ ihre Dienste anbieten. Heide Simon aus der Beratungsstelle für Geschlechtskrankheiten in Charlottenburg berichtet aus der Praxis ihrer Dienststelle, die als bisher einzige in Deutschland, die sogenannten Bockscheine abgeschafft hat: „Alle Frauen, die sich für die Prostitution entschieden haben, sind genauso mündig wie alle anderen Frauen auch und müssen nicht kontrolliert werden. Sie können selbst entscheiden, wann sie zu einer Untersuchung erscheinen und wann nicht.“ Angesprochen auf die fehlenden Möglichkeiten der Krankenversicherung für Prostituierte weiß sie zu berichten, daß die Selbsthilfegruppe Hydra es zumindest in Berlin erreicht hat, daß Frauen sich bei der AOK versichern lassen können. Da die AOK aber wisse, daß sie keinen schriftlichen Nachweis über die Höhe der Einkünfte bekommen könne, würden die Frauen grundsätzlich zum Höchstsatz eingestuft: „Und das ist für die meisten Frauen nicht bezahlbar, denn alle verdienen nicht soviel. Aus ihrer täglichen Arbeit in der Beratungsstelle kennt Heide Simon die Situation der Frauen, die aus den Ländern der sogenannten Dritten Welt hierhergelockt werden. Hier müssen sie dann unter unwürdigsten Bedingungen leben und arbeiten, um schließlich von der Polizei in Abschiebehaft genommen und wieder ausgewiesen zu werden: „Sie gehen ärmer nach Hause als sie je waren. Und das große Geld machen die Frauenhändler.“

Ein offenes Ohr für die Belange der Prostituierten verspricht die stellvertretende Vorsitzende der Berliner SPD, Ingrid Stamer ebenso wie Stefanie Fuhrmann vom AL -Frauenbereich und die evangelische Pfarrerin Erika Godel. Doch liegt es an den Prostituierten selbst, auf die Parteien oder auf die Kirche zuzugehen und ihre Forderung nach Unterstützung einzubringen. So wie Männer der Einladung der Berliner Prostituierten zu einem öffentlichen Gespräch nicht gefolgt waren, so halten sich auch die Zuhörer diskret zurück. „Warum kneifen die Männer?“ befragt Angie vom Verein 'Nutten und Nüttchen‘ einen potentiellen Kunden. Darauf weiß er keine Antwort, aber „ein Gefühl“ will er schon haben, wenn er eine Frau für ihre Arbeit bezahlt. Deshalb nehme er kein Gummi. Den Beruf hält er für notwendig, um die „Not der Männer“ zu beheben. Deshalb muß sie natürlich die gleichen Rechte haben wie jede andere Frau auch.“ „Alle Achtung, junger Mann, Sie haben Mut“, kontert ihm Angie, „Sie sind schon fast in den Kreis unserer Befreierchen aufgenommen, ein paar Schulungskurse müssen wir aber noch machen.“