Kurt Waldheims jüngstes Fernseh-Gericht

■ Würden die Beweise für einen Kriegsverbrecher-Prozeß ausreichen? / Aus London Rolf Paasch

Kurt Waldheims jüngstes Fernseh-Gericht

Würden die Beweise für einen Kriegsverbrecher-Prozeß

ausreichen? / Aus London Rolf Paasch

25 Forscher durchstöberten ein Jahr lang 29 Archive in aller Welt und befragten 250 Zeugen. Auftraggeber: der britische Privatsender 'Thames Television‘ und der US -Kabelfernsehsender 'Home Box Office‘. Morgen abend bekommen die britischen Zuschauer einen Dreieinhalb-Stunden -Zusammenschnitt der Beweisaufnahme zu sehen und das bisher geheimgehaltene Urteil der fünf (echten) Richter aus fünf Ländern. Nicht über Waldheims Schuld wird entschieden, sondern nur darüber, ob die Beweismittel reichen würden, um einen Kriegsverbrecher-Prozeß zu eröffnen. (Kommentar Seite 4).

Kurt Waldheim steht - endlich, würden manche sagen - vor einem Gericht. Nicht in einem wirklichen Gerichtssaal, sondern nur in einem täuschend echt nachgebauten, in einem Fernsehstudio außerhalb Londons. Keines der in England mit historischer Schwere beladenen Gerichtsgebäude, sondern Zeugenstand und Bänke im hellen IKEA-Stil bilden die Fernseh -Kulisse für die Verhandlung. Auch ist Kurt Waldheim nicht persönlich erschienen - dies hatte der österreichische Bundespräsident im Gespräch mit dem TV-Produzenten John Saltman dankend abgelehnt -, sondern wird durch den früheren britischen Generalstaatsanwalt Rawlinson vertreten. „Ich verteidige Kurt Waldheim nicht“, sagt Rawlinson allerdings in seinem Eingangsplädoyer, „ich repräsentiere ihn nicht, ich unterhalte keinerlei Kontakte zu ihm.“ Er sei nur gekommen, so fährt er fort, um die Stichhaltigkeit der Beweise zu überprüfen, die Waldheim der Teilnahme an verschiedenen Kriegsverbrechen überführen sollen. Alles andere, ob Waldheim über seine Aktivitäten während des Krieges später gelogen habe oder ob er das Amt des Präsidenten bekleiden dürfe, interessiere ihn nicht.

Die Justiz streift sich die Scheuklappen über. Diejenigen, die der britische Privatsender 'Thames Television‘ und das US-Cable-Network 'Home Box Office‘ ins Londoner Fernsehstudio geladen hatte, um über die vom ehemaligen Chef der Kriegsverbrecherabteilung (OSI) des US Justizministeriums, Allan Ryan, vorgebrachte Anklage zu urteilen, sind: Sir Frederick Lawton, ein emeritierter britischer Berufsrichter; Shirley Hufstedler, eine frühere Richterin aus den USA und Erziehungsministerin der Carter -Administration; Gustaf Petren, der Ex-Richter des höchsten schwedischen Verwaltungsgerichtes; Richter Gordon Cooper aus Kanada und der frühere Richter am Stuttgarter Oberlandesgericht, Walter Hübner. Was diesem hochkalibrigen Fernsehgericht vorlag, waren die Ergebnisse einer beispiellosen Recherche. Ein Jahr lang stöberten 25 angeheuerte Forscher durch 29 Archive in aller Welt, befragten 250 Zeugen und sammelten über 8.000 Seiten be- und entlastendes Material über die kriegerischen Aktivitäten des Dr. Kurt Waldheim; der damit dem Kommerzfernsehen 4,5 Millionen DM wert ist.

Und dann konnte das Waldheim-Tribunal am 13. April dieses Jahres im Studio von Teddington losgehen. Ohne Perücken zwar, aber mit dem ganzen juristischen Ritual eines Pseudo -Gerichts, das den Ernstfall probt. Und schon nach fünf Minuten hatten die erlauchten Koryphäen Justitias auch ohne Roben vergessen, daß es hier um sonntägliche Fernsehunterhaltung ging: „Sonntag abend, 7.30, Vierter Kanal“, so warben in der vergangenen Woche schon die Fernseh -Trailer für die einmalige Waldheimshow mit anschließendem Urteil. Und auch die Zuschauer morgen vor der Glotze werden bald vergessen haben, daß hier nur mit Waldheim „gespielt“ wird - und mit der ganzen Problematik seines Falles.

Zeugen treten auf - mit beeindruckenden Schilderungen, wie der des Griechen Alexander Malios, der im August 1943 gerade fünf Jahre alt war, als die Truppen der Ersten Deutschen Gebirgsdivision sein Dorf, das gerade eine Hochzeit gefeiert hatte, „säuberte“. Dabei wurden 300 Zivilisten, auch Frauen und Kinder, niedergemetzelt. Aus Malios‘ 12köpfiger Familie überlebten nur er und seine Schwester. Andere Zeugen präsentieren ihre erbärmlichen Ausflüchte wie der 1c -Offizier dieser Division, Karl Rothfuchs. Sein O-Ton im Zeugenstand: „Unsere Soldaten mordeten nicht, sie kämpften„; „Sie haben niemals Unschuldige umgebracht“ - was aber zwei Minuten später „schon sein konnte“.

Die Zeugen Rothfuchs, Willers, Poliza und Plume, die als Vorgesetzte und Kollegen mit Kurt Waldheim im jugoslawischen West-Bosnien und später im griechischen Arsakli „dienten“ und hier vor den Fernsehkameras teilweise zum ersten Male aussagen - boten allesamt das altbekannte Bild vom uneinsichtigen deutschen Wehrmachtsoffizier, der sich über 40 Jahre nach einem der größten Verbrechen der Menschheit noch darüber empört, wenn sein Kriegsdienst nicht als tapfere Pflichterfüllung gewürdigt wird. Als Zeugen zur Ent oder Belastung Kurt Waldheims, so stellte sich im Laufe der Verhandlungen heraus, sind ihre Aussagen mehr oder weniger wertlos. Entweder war der Versuch, sich selbst durch die Belastung anderer zu entlasten, zu offensichtlich; oder sie konzentrierten ihr Interesse auf die kollektive Entlastung des gesamten Generalstabs statt auf die Wahrheitsfindung. Fazit: nach neun Verhandlungstagen, festgehalten auf 170 Stunden Videobändern - dies läßt sich nach den der Presse zugänglichen Ausschnitten schon sagen -, sind wir in der Sache Kurt Waldheim so klug wie zuvor. Vielleicht nur um die Einsicht reicher, wie sehr die instinktive Reaktion derer, die Hitlers Befehle ausführten, der Reaktion des Kurt Waldheim gleicht. Der Mann ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Erst am späten Sonntag abend, nachdem die britischen Fernsehzuschauer den Dreieinhalb-Stunden -Zusammenschnitt der mühseligen Beweisaufnahme durchgesessen haben, nachdem sich auch das österreichische Fernsehen für 15 Minuten zugeschaltet hat, werden die fünf Bildschirmrichter ihr Urteil darüber abgeben, ob der Fall Waldheim einen wirklichen Kriegsverbrecherprozeß erfordern würde oder nicht. Danach sind wir wieder in der Wirklichkeit, in der Egoismus und Opportunismus noch nie als Verbrechen galten, in der den Beschuldigten genau diese Qualitäten zum höchsten Diplomatenamt des UNO -Generalsekretärs aufstiegen ließen, und in der Kurt Waldheim als Weltmeister der Verdrehung und Vergeßlichkeit sein Österreich auch weiterhin repräsentieren darf. Der Rest war nur Entertainment, wenn auch gut inszeniertes.