■ BÜHNE BERLIN
: DIALOGPARTNERIN

B Ü H N E B E R L I N D I A L O G P A R T N E R I N Rundlich ist sie. Flink. Ein bißchen schwatzhaft manchmal, aber nicht aufdringlich. Eine Berliner Fassung der „Geschichten aus dem Wienerwald“ Ödön von Horvaths: da würde sie hineinpassen. In ihrem Laden ist fast immer Besuch, aber nicht nur, weil sie in einer Gegend, wo Alkoholismus Alltag ist, auch für die „Bierchen“ und „Flachmänner“ die Lizenz hat. Immer muß einer zur U-Bahn, und ihr Geschäft liegt jeden Tag auf dem Weg. So eilig wird es nicht sein, man besucht sie. Die Zeitungen, die sie verkauft, liest sie wahrscheinlich nicht regelmäßig: Sie ist vor 40 Jahren aus den Ostgebieten gekommen, ihr kann nichts Zeitgeschichtliches mehr zur Überraschung werden. Wer auch immer gerade ihr Dialogpartner sist: Sie hört sorgfältig zu, sie sieht den anderen an - aber sie mustert ihn nicht. Wo andere Vorurteile haben, hat sie Erfahrung. Die Hälfte ihrer Lebenszeit verbringt sie im Laden. Raucht sie nach Feierabend? Trinkt sie mal einen Likör? Manchmal kommt einer zu ihr, ein anderer steht da und trinkt und redet laut - und der Dazugekommene steht und schweigt und schämt sich fast, daß er nicht teilhat an dem fürchterlich realistisch beschriebenen Elend dieses Redenden da. Oft ist es nicht die Sonnenseite des Lebens, was bei ihr zu Wort kommt. Trösten oder helfen kann sie nicht, natürlich nicht. Aber komplementäres Unglück weitererzählen, um dem grad Gehörten den Schrecken zu nehmen, das tut sie. Barschel, glaube ich, hat ihr, bei aller Schurkerei, die sie sehr genau sieht, doch ein bißchen leidgetan.Klaus Nothnagel