BRASILIANISCHER FREUND

■ Milton Nascimento im Tempodrom

BRASILIANISCHER FREUND

Milton Nascimento im Tempodrom

Vor Jahren brachte ein Freund eine Platte aus Brasilien von dem Sänger Milton Nascimento mit. Diese Musik bewegt sich zwischen Melancholie und Freudentaumel, erzählt von den nächtlichen Treffen der Liebespaare am Strand von Bahia, von den berauschten Karnevaltänzen, die tödlich enden. Distanz beflügelt die exotischen Phantasien.

Brasilianische Musik von Sängern wie Giberto Gil, Caetano Veloso oder eben Milton Nascimento im Ohr, ein paar Cahasa -Schnäpse im Kopf, und die grauen Straßenbäume vorm Fenster verwandeln sich in Palmen.

Wenn dann plötzlich ein Konzert mit einer dieser Traumfiguren angekündigt wird, ist man aufgeregt wie vor dem ersten Treffen mit einem Brieffreund, den man noch nie gesehen hat.

Aber Milton Nascimento kommt nicht allein zu unserem Treffen, er hat eine riesige Band mitgebracht. Drei Percussionisten und Schlagzeuger, zwei Keyboarder, je einen Gitarristen und Bassisten. Und ich dachte, wir treffen uns in einem kleinen Club, unauffällig ohne viel Getöse. Statt dessen grelle Scheinwerfer, eine aufdringliche Band und viele Zuschauer, die auch alle Milton Nascimento zu kennen scheinen, einige sogar aus Südamerika.

Milton, ganz in Weiß mit babyblauem Käppi, setzt sich auf einen Hocker und singt. Seine wohlige, leicht vibrierende Baßstimme ist nur am Beginn der Titel gut zu hören, wenn sich Nascimento selbst auf der halbakustischen Gitarre begleitet. Aber dann fallen ihm sofort die anderen ins Wort, quasseln dazwischen und veranstalten einen Höllenlärm mit ihren Trommeln und Synthies. Alles wird zu einem großen Klangbrei vermischt. Wie eine Jazzrockkapelle, die sich vorgenommen hat, die Leute um jeden Preis zum Tanzen zu bringen, spielt jeder möglichst schnell und laut, um am Ende des Stücks als erster in die Luft springen zu können.

Nascimento sitzt lächelnd dazwischen, sein Gesang geht unter, man sieht nur noch das strahlende Gebiß in seinem dunklen Gesicht. Er hat diese tollwütige Band engagiert und feuert sie auch noch an. Er verramscht seine eigene Musik zu billiger Tanzmucke. Das Publikum soll mitklatschen, mittanzen, mitsingen. La, la, la - lalala, er hält den Zuschauern das Mikro hin. Seine Show wirkt gar nicht unbedingt künstlich, es ist nur alles eine Nummer zu groß geraten. Die Musik erstickt an sich selbst. Das Publikum ist begeistert. Man soll sich nicht mit Brieffreunden treffen.Andreas Becker