Bei Freitod-Absicht "Alarm schlagen"

■ Nehmen Vollzugsbeamte die Aufforderung allzu wörtlich?

Bei Freitod-Absicht „Alarm schlagen“

Nehmen Vollzugsbeamte die Aufforderung allzu wörtlich?

(...) Im Januar in der Kasseler JVA I zwei Tote durch Erhängen, eine schwere Tabletten-Intoxikation. Für beide vollendeten Suizide hat man natürlich auch dann Erklärungen, der eine nach seiner Aussage an der Panik-Schleuder AIDS erkrankt, der andere habe, so war es in einer Pressemitteilung der Anstalt zu lesen, hätte nach seiner kurzen Ersatzfreiheitsstrafe wegen anderer Delikte U-Haft zu erwarten. Beide waren erst wenige Stunden in Haft und aufgrund ihrer Sucht im Entzug und somit sowieso „reif“ für eine Wachstation. (...)

So mußten die beiden Kameraden 43- und 30jährig, einen elenden Tod sterben, krank, unverstanden, alleingelassen.

Danach ist man hier auch schnellstens wieder zur Tagesordnung übergegangen. Verfahren, die in diesem Zusammenhang eingeleitet werden, gegen Ärzte und Vollzugspersonal sind nach einer Anstandsfrist oft schnell eingestellt, und Bedienstete werden nach solchen Persilscheinen schwerlich ihre Praktiken ändern. (...)

Das Krankenhaus der JVA Kassel ist von seiner Einrichtung her wohl vorbildlich für ein Vollzugskrankenhaus. In der Praxis ist es hier aber so, daß sich Verletzte nach Operationen, die nicht die absolute Waagerechte erfordern, lieber auf der Zelle von Mitbewohnern pflegen lassen, als sich dort stationär aufnehmen zu lassen.

Zu meiner Überraschung sah ich kürzlich im Krankenhaus der Kasseler JVA im Stationszimmer der Pfleger Polizeihelme und Schutzschilder, wobei ich gar nicht wissen möchte, was man zur Vervollständigung dieser Ausrüstung erst gar nicht sehen kann. (...)

Zu den Ausführungen von Peter zu Dr. M. sowie Dr. Z. in der JVA Butzbach sei gesagt, daß ich bei einem Aufenthalt im Butzbacher Lazarett, Dr. M. live erlebte bei einem Mitgefangenen Marokkaner, der einen Heroin-Entzug hatte. Dieser bekam Haloperidol gespritzt (ganz übles Neuroleptikum, heißt heute Haldol. Wobei die Verniedlichung der Namensänderung an den fatalen Wirkungen nichts änderte). Bei der Verabreichung von Haldol kommt es in den meisten Fällen zu schwersten Krämpfen, insofern einem mit Haldol nicht Akineton verabreicht wird (krampflösendes Mittel). Dieser Bettnachbar hatte Krämpfe, wie ich sie vorher nicht gesehen hatte. Kommentar des Dr. M.: „Was glaubst du denn, was sie daheim mit dir machen?“

Dr. Z., Nachfolger von Dr. M., sagte bei einer Visite zu Werner, einem Mitgefangenen mit schweren Raucherbeinen: „Wenn das nicht besser wird, werden wir das scheibchenweise abnehmen.“ Werner wurde dann in die JVA Kassel verlegt und hat diesem Zynismus durch Erhängen ein Ende gemacht.

Wenn der Anstaltsleiter in Kassel sagt, das Personal sei angewiesen, bei der Äußerung von Freitodabsichten „Alarm zu schlagen“, damit eine Krisenintervention durch Sozialarbeiter, Ärzte und Psychologen der Anstalt anlaufen könne, so mag das stimmen, nur endet das leider zu oft in der Beruhigungszelle. Und bei „Alarm schlagen“ habe ich Assoziationen, die gar zu wörtlich sind. H.P., Kassel