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Israels Siedler: Besuch in einer fremden Welt

■ Der Palästinenseraufstand aus der Sicht jüdischer Siedler in der besetzten Westbank / Jedweder territoriale Kompromiß wird streng abgelehnt

Israels Siedler: Besuch in einer fremden Welt

Der Palästinenseraufstand aus der Sicht jüdischer Siedler in der besetzten Westbank / Jedweder territoriale Kompromiß

wird streng abgelehnt

Aus Jerusalem Beate Seel

„Sehen Sie sich dieses Bild an“, sagt Rabbi Jehuda Bohrer und weist auf die Szenerie, die sich vor unseren Augen ausbreitet. „Prägen Sie sich das gut ein, dies ist ein Beispiel der Koexistenz zwischen Juden und Arabern, so wie Israel sie sieht.“ Wir haben gerade die jüdische Siedlung Ofra in der besetzten Westbank hinter uns gelassen und sind wieder auf die Hauptstraße eingebogen. Zur Rechten erstreckt sich ein israelisches Militärlager. Ein kleines Gründstück mit zwei palästinensischen Häusern ragt wie eine schmale Zunge in das mit Stacheldraht umzäumte Gelände hinein. Zur Linken treiben zwei Hirten ihre Schafe über den steinigen Boden. Für den Rabbi drückt dieses Bild die Menschlichkeit der israelischen Besatzung aus: Die individuellen Rechte der Bevölkerung wurden nicht angetastet, die beiden Häuser nicht abgerissen, die Hirten fürchten sich nicht, mit ihrer Herde an dem Militärlager vorbeizuziehen, sie wissen, daß die Soldaten der Besatzungsmacht ihnen nichts tun werden.

Man könnte es auch so sehen, daß das Militärlager auf palästinensischem Grund und Boden errichtet wurde, die beiden Häuser völlig eingeschlossen wurden. Man könnte auch sagen, daß die beiden Hirten ihre Schafe jetzt nur noch auf der einen Seite der Straße weiden lassen können, nicht aber mehr auf der anderen. Eine Sichtweise, die Bohrer mit der ihm eigenen Vehemenz zurückweist. Zwar kann er verstehen, daß das Militärlager einem jungen Palästinenser ein Dorn im Auge ist. Aber: „Pech gehabt“, würde er ihm entgegnen. „Als ich auf der anderen Seite der Berge war, hast du mich bedroht. Das Lager schützt Tel Aviv. Wir sind zu sehr gebrannte Kinder. Aber wir nehmen uns nur ein Minimum.“ Das „Minimum“ umfaßt nach einer Untersuchung des israelischen Forschers Meron Benvenisti 51Prozent des Bodens in der Westbank, der der direkten oder indirekten Kontrolle Israels untersteht.

Rabbi Jehuda Bohrer ist selbst Siedler und Gründungsmitglied der Siedlung Bet El, 20 Autominuten von Jerusalem entfernt, und ein glühender Zionist. Unsere unterschiedliche Sichtweise schlägt sich bis in die Wortwahl nieder, er verwendet die biblischen Namen Judäa und Samaria, ich rede von der Westbank. Er spricht von Vor- und Satellitenstädten, ich von Siedlungen, er von Schechem, ich von Nablus, er von Arabern oder Einheimischen, ich von Palästinensern. So gerät die Fahrt durch verschiedene Siedlungen nach meinen Besuchen zahlreicher palästinensischer Städte und Dörfer zu einem Ausflug in eine fremde Welt. In der Tat sollte sich die unterschiedliche Wahrnehmung der Realität in diesem winzigen Stück Land mit seinen 5.450 Quadratkilometern als höchst verblüffend erweisen. Kaum sitzen wir im Auto, disputieren wir auch schon darüber, ob es überhaupt einen palästinensischen Aufstand gibt.

Gibt es einen Aufstand?

Auch Alisa Herbst aus Ofra, einer Hochburg der radikalen Siedlerbewegung Gush Emunim, möchte diesen Begriff nicht verwenden. Sie wohnt in einem der Einfamilienhäuser mit den roten Ziegeldächern, die ich bis dahin nur aus der Ferne gesehen hatte. Sie ist gerade beim Brotbacken, als ich ihr kombiniertes Eß- und Wohnzimmer mit einer Kochecke betrete. Zwei Kinder hängen vor dem Fernseher. „Wenn ich mit meinen Verwandten in den USA telefoniere, habe ich das Gefühl, wir sprechen über unterschiedliche Dinge“, meint sie. Bei dem Wort Aufstand denkt sie an Bürgerkrieg, zerschossene Häuser wie in Beirut und ständiger Unsicherheit. Außerdem zeichne sich ein Aufstand durch ideologische und politische Wurzeln aus, die von einer breiten Mehrheit geteilt würden; das spricht sie der Intifadah jedoch ab. Die „Ereignisse“ seien von kleinen Gruppen von PLO-Terroristen angezettelt worden, meint sie, von außen eingedrungenen Kommandos oder radikalen Grüppchen im Innern - eine Auffassung, die ich noch öfters zu hören bekomme. Geht sie tatsächlich davon aus, daß eine solche Gruppe einen monatelangen Streik der gesamten Bevölkerung organisieren kann? „Natürlich“, sagt sie, „wenn jemand damit droht, daß er deine Kinder tötet..., da reichen ein oder zwei Beispiele, eine in einem Flugblatt ausgesprochene Drohung.“ Folgerichtig ist sie daher der Auffassung, daß die palästinensische Bevölkerung in den besetzten - „befreiten“ - Gebieten die eigentlich leidtragende der „Ereignisse“ ist. Jeder Versuch der Diskussion über die Ursachen des Aufstands endet immer wieder bei diesem Punkt. Wenn man wie ich in den letzten Wochen mit Palästinensern und Palästinenserinnen zwischen sechs und 80Jahren gesprochen hat, wirkt das Maß an Selbsttäuschung unter den Siedlern erschreckend.

„Es sind Ausländer“

Ofra ist nicht Tel Aviv oder Haifa, Alisa Herbst lebt in palästinensischer Umgebung. Ging denn der ganze Aufstand spurlos an ihr vorüber? „Am Anfang dachten wir, es geht bald wieder vorbei. Doch im dritten Monat fingen wir an, uns unsicher zu fühlen. Ich habe zum Beispiel abends keine anderen Siedlungen mehr besucht. Jetzt haben wir das Gefühl, daß es wieder ruhiger geworden ist. Außerdem hat die Armee die Dinge besser im Griff.“ Über diesen „Griff“ zu diskutieren, der mittlerweile an die 200 Tote gefordert hat, erweist sich ebenfalls als müßig. Sie kann zum Beispiel nicht akzeptieren, daß es laut dem offiziellen Untersuchungsbericht der israelischen Armee nicht ein Palästinenser, sondern ein Siedler aus Elon Moreh war, der versehentlich die Schülerin Tirza Poret erschoß. Er hatte das Feuer auf Einwohner Beitas eröffnet, die zusammengeströmt und einige Steine geworfen hatten, weil sie befürchteten, die Siedler würden in ihr Dorf eindringen. Beita steht für Alisa Herbst, für die „unglaubliche Brutalität gegenüber einer Gruppe von Schülern“. Für die „rein animalische Seite der Araber“, da es ein natürlicher menschlicher Instinkt sei, Kinder zu schützen. Sonst ist er aber des Lobes voll über die Armee: „Ihre Zurückhaltung ist bewundernswert. Man muß sich vorstellen, daß sie einer Gemeinschaft gegenüberstehen, die ihre Frauen und Kinder losschickt, weil die israelischen Soldaten so human sind.“ Jeder, der einen Stein wirft oder irgendeine andere Form von Gewalt anwendet, sollte ihrer Meinung nach ausgewiesen werden. Schließlich würden ja auch die USA mit unerwünschten Ausländern so verfahren, das sei ganz normal. Sind die Palästinenser aus der Westbank für sie also Ausländer? „Sie haben einen jordanischen Paß“, lautet die unverblümte Antwort.

Mit europäischen Augen

Als wir Ofra verlassen, ereifert sich der Rabbi über meine Gesprächsführung. „Sie können ja noch nicht einmal die richtigen Fragen stellen“, wirft er mir, aber durchaus nicht unfreundlich, an den Kopf. „Sie interessieren sich ja nur für Politik und das Land. Schauen Sie, das unten liegt der Ort Jifna. Das ist wichtig. Dort gibt es noch Spuren aus der christlich-byzantinischen Zeit. So etwas interessiert die Europäer.“ Bei jüngeren Deutschen wie mir vermißt er die gemeinsame Basis, das Verbindende - obwohl seine Familie aus Deutschland stammt und im Jahre 1940 eingewandert ist. Bei der älteren Generation findet er ein Feld der Verständigung in der gemeinsamen Kenntnis der Bibel. Er bemüht sich sehr, mich das Land mit seinen Augen sehen zu lassen, jede einzelne Siedlung repräsentiert für ihn etwas ganz besonderes, sei es, daß es sich um eine der ersten handelt, sei es, daß sie an einem biblichen Ort errichtet wurde. Wodurch die „Verheißung der Rückkehr“ realisiert wurde, sei es, daß sie neu erbaut ist und für die Kontinuität der Siedlungstätigkeit in der Westbank steht. Doch meine Augen sind andere, „europäische“, wie er sagt.

Als wir einen Beifahrer in der Siedlung Karmei südlich von Jerusalem absetzten, sehen meine europäischen Augen wieder einmal alles ganz falsch. Karmel Zur, vor zweieinhalb Jahren gegründet, liegt mitten in einem landwirtschaftlich genutzten Gebiet. Ich rede von Landnahme, Enteigung. Von wegen. Der Rabbi öffnet meine Augen: Die Rebstöcke, die ich sehe, sind noch jung, fünf bis zehn Jahre alt, und zudem nicht in der traditionellen Anbauweise auf dem Boden über Steine und Felsbrocken kriechend, gepflanzt , sondern sie klettern gemäß den modernen, von Israel seit der Eroberung 1967 ins Land gebrachten Methode an den auch bei uns üblichen Gerüsten empor. „Die Siedlung ist nicht auf arabischem Land errichtet worden, sondern es wurde der arabischen Landwirtschaft dank der modernen Methoden erlaubt, Karmel Zur zu erreichen“, erläutert er und vergißt einen Moment lang, daß die Siedlung jünger ist, als die sie umgebenden Weinstöcke.

Als wir uns Heroon im Süden der Westbank nähern, ist er es, der mich darauf hinweist, daß hier die gegensätzlichen Sichtweisen wohl am härtesten aufeinanderprallen. Alle Geschäfte sind geschlossen, mein Beifahrer bittet mich, den Sicherheitsgurt zu öffnen - höchst ungewöhnlich, da sonst strikt darauf geachtet wird, daß man ihn auch anlegt. „Wir befinden uns hier in einem dicht bewohnten arabischen Gebiet“, klärt er mich auf, „da ist es immer besser, wenn man notfalls schnell den Wagen verlassen kann.“ Ich fühle mich ausgesprochen unwohl in meiner Haut. Nicht aus Angst vor Steinwürfen, sondern weil wir uns hier in einer Siedlung irgendwo auf der Kuppe eines Berges befinden, sondern im Zentrum einer palästinensischen Stadt, wo sich Siedlerfamilien niedergelassen haben (dies ist freilich nur meine Sichtweise, wie sich noch zeigen sollte). Bohrer stellt den Wagen vor dem Hassadah-Komplex ab, einem ehemaligen jüdischen Krankenhaus, das mit viel Geld renoviert und in einen Wohnblock umgewandelt wurde. Überall flattern israelische Fahnen, vor dem Gebäude postiert eine Gruppe von Soldaten, das Gelände ist mit Stacheldraht eingefaßt. Dahinter toben Kinder auf einem Spielplatz, auf halber Höhe des Hangs auf der anderen Seite der „König-David -Straße“ patrouilliert ein weiterer Soldat mit Fernglas auf dem Dach eines Hauses, ein Stück weiter unten erstreckt sich ein israelisches Militärlager. Wir wenden uns nach links und stehen praktisch mitten im Geschäftszentrum von Hebron, die Läden sind freilich auch hier geschlossen. Einige Schritte weiter und wir gelangen zur nächsten jüdischen Ansiedlung, in einem umgebauten ehemaligen Waisenhaus der jüdischen Gemeinde von Hebron, die im Zuge eines Massakers im Jahre 1929 vernichtet und vertrieben wurde. Drei weitere solche gibt es im Zentrum, und es ist das häufig erklärte Ziel von Gush Emunim, diese jüdischen Inseln zu einer Bastion im Herzen der Stadt und langfristig auch mit der Siedlung Kiriat Arba, der „Oberstadt“ zu verbinden.

Die Stätten Abrahams

Mein Gspräch mit einem Führer der Siedler - mein Begleiter bezeichnet ihn als den „Bürgermeister von Hebron“ - erweist sich als schwierig. Wir reden aneinander vorbei. Doch der Rabbi kennt mich mittlerweile gut genug, um zu wissen, wo das Problem liegt. „Er muß nichts beweisen“, sagt er und meint damit meinen Gesprächspartner. „Für ihn ist es absolut natürlich, hier zu sein. Er gehört mehr nach Hebron als alle anderen. Die Araber leben erst seit zwei oder drei Generationen hier, einige waren Beduinen, einige haben syrische, andere ägyptische Namen. Sie gehen von Ihrer europäischen Wahrnehmung aus, die nicht von uns geteilt wird.“ Und das, obwohl wir vorher eine kleine Ausstellung über die Geschichte der jüdischen Gemeinde der Stadt besucht hatten. Es geht um den Rechtsanspruch, erklärt Rabbi Bohrer, die Rückkehr in diese Stadt, wo Abraham und Sarah begraben sind, die Rückkehr an die Stätten, die die jüdische Bevölkerung 1929 verlassen mußte: „Ich bin hier, also existiere ich.“ Die Siedler sind hier, um zu bleiben, daran läßt niemand einen Zweifel, und der Bürgermeister gibt als sein Ziel an, soviele Juden wie möglich in Hebron anzusiedeln.

„Wenn es in New York ein Gebiet gäbe, in dem keine Juden leben dürften, dann würde die ganze Welt aufschreien und von Antisemitismus reden. Aber das hier ist ein jüdischer Bezirk“, bekräftigt auch eine aus den USA eingewanderte Siedlerin, die mit ihrer Familie im Hassadah-Komplex wohnt. Meine Frage, ob sie denn möchte, daß ihre Kinder hinter Stacheldraht aufwachsen, weist sie entschieden zurück. „Wir leben hier viel freier als in New York“, gibt sie zurück. „Die Kinder können draußen spielen. Wir gehen in arabischen Geschäften einkaufen. Auch in den USA lebt die jüdische Gemeinde für sich, schickt ihre Kinder auf jüdische Schulen. Hier wie dort sind unsere Nachbarn Nicht-Juden, das ist genau das gleiche. Außerdem ist es eine Tatsache, daß die Soldaten es hier viel leichter haben als in anderen Städten, weil es hier Juden gibt.“ Das einzige, was sie moniert, ist die „Schwäche im Innern“, also die Debatte in Israel über die Zukunft der besetzten Gebiete und damit auch der Siedlungen. „Die Araber haben mit den Problemen erst angefangen, nachdem die Juden Schwäche gezeigt haben. Das nützt doch nur den Terroristen“, wettert sie. Es ist noch mehr die Art, wie sie spricht, als das, was sie sagt, was mich schaudern läßt. Die laute Stimme, mit der sie ihre Ansichten kundtut, ihre Vehemenz, die absolute Überzeugung, das einzig Richtige zu tun, das heftige Zurückweisen jedweder anderen Ansicht als Schwäche oder Schlimmeres kurz, ihr Fanatismus.

„Wir können den Kuchen nicht teilen“

„Sie sehen, wie unsinnig die Frage nach territorialen Kompromissen für den Frieden ist“, sagt Bohrer, als wir nach Jerusalem zurückfahren. Wir hatten unterwegs immer wieder dieses Thema angeschnitten. „Was ist das für ein Frieden, wenn ich etwas abgeben muß? Das ist, als würde man fragen: Würdest du die Nase deiner Mutter für den Frieden abschneiden? Die Leute wissen doch gar nicht, was das Land hier bedeutet“, ereifert sich der Rabbi. „Wir erwecken aus diesen öden Steinen neues Leben.“ Und das Leben, das schon da ist, das palästinensische? Kann er sich nicht eine Teilung des Landes vorstellen, eine Zwei-Staaten-Lösung, mit einer palästinensischen Minderheit im jüdischen und einer jüdischen Minderheit im palästinensischen Staat? „Wir können die Palästinenser politisch nicht zufriedenstellen“, entgegnet er mit Entschiedenheit. „Sie können hier leben und Geld verdienen, gutes Geld verdienen, Häuser bauen, ihre Kinder auf die Universitäten schicken, aber Politik - nein. Wenn sie Politik machen wollen, müssen sie in einen der 22 arabischen Staaten gehen. Bis 1967 waren wir hier nicht präsent, und solange war Israel auch nicht sicher. Es geht nicht um die besetzten Gebiete, sondern um die Existenz Israels. Wir können uns den Kuchen nicht teilen, genausowenig, wie sich zwei Frauen den Herd nicht teilen können. Ich nehme doch niemanden in mein Haus auf, der die erklärte Absicht hat, mich rauszuwerfen.“

Mit diesen Worten war der Rabbi, als wir Ofra hinter uns gelassen hatten, wieder auf die Hauptstraße eingebogen, wo er mir das Bild des friedlichen Zusammenlebens zwischen den 60.000 Siedlern und 840.000 Palästinensern aus Israels Sicht erläutert hatte. Wo in den Kategorien der Existenz, des Überlebens (und der potentiellen Vernichtung) gedacht wird. Wieder einmal trennen den Rabbi und mich Welten, die sich nicht überbrücken lassen und die ich auch nicht überbrücken will. Wie um dies zu bekräftigen, schlägt mir der Rabbi am Ende unserer Fahrt vor, bei meinem nächsten Besuch doch einen kleinen Artikel über die Wasserversorgung Jerusalems zu Zeiten Jesu zu machen. Er werde mir auch gerne dabei helfen.

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