Die SPD-Krise schwemmt Voscherau nach oben

■ In Hamburg profitiert der selbsternannte Enkel Helmut Schmidts von den verhärteten Fronten in der SPD / Selbstentmündigung aus Hilflosigkeit / Das Wir-Gefühl der Partei soll als Ersatz für ihre

Die SPD-Krise schwemmt Voscherau nach oben

In Hamburg profitiert der selbsternannte Enkel Helmut

Schmidts von den verhärteten Fronten in der SPD /

Selbstentmündigung aus Hilflosigkeit / Das „Wir-Gefühl“ der Partei soll als Ersatz für ihre Politikfähigkeit dienen /

Parteilinke und -rechte lassen Federn

Aus Hamburg Axel Kintzinger

Wenn Henning Voscherau heute nachmittag die Amtsgeschäfte von Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi übernimmt, hat er zum Regieren vorerst dasselbe Instrumentarium zur Hand, das vor ihm Hans-Ulrich Klose und Klaus von Dohnanyi schon zur Weißglut brachte. Der Erste Bürgermeister hat als Regierungschef keine Weisungsbefugnis, ist innerhalb der Landesregierung als „primus inter pares“ eben nur einer unter Gleichen. Bevor in Hamburg, wie in anderen Stadtstaaten auch, politische Ideen zur Entscheidung reifen, müssen sie einen wahren Kompetenzdschungel passieren. Da haben in den einzelnen Fachbehörden die Deputationen als eine Art Laienbeirat mitzureden und abzusegnen, da kann sich im Senat ein Regierungsmitglied aus politischen, ideologischen, oftmals aber auch persönlichen Gründen gegen jedwede Entscheidung stemmen - Folgen sind nicht zu befürchten. Entlassungen kann bisher nur das Landesparlament, die Bürgerschaft, aussprechen, der Regierungschef muß hilflos mitansehen, wie Senatsmitglieder sich genüßlich zurücklehnen und ihm signalisieren: Du kannst mich mal.

Unter solchen Bedingungen wollte Voscherau nicht zur Verfügung stehen. Erst am vergangenen Freitag wurde auf dem Sonderparteitag der Hamburg-SPD die erste heilige Kuh geschlachtet: Fortan, das ließ sich Voscherau von den Delegierten mit mehr als Zwei-Drittel-Zustimmung garantieren, entscheidet er allein, welche Senatoren er holt, feuert oder umsetzt. Allerdings gilt das nicht für die beiden Regierungsmitglieder aus den Reihen des Koalitionspartners FDP. Doch Voscherau strebt auch eine Änderung der Landesverfassung an, die ihm dann ähnliche Rechte wie einem Ministerpräsidenten verleihen würde. Er stützt sich dabei auf das Gutachten der sogenannten Benda -Kommission, die im Rahmen einer Untersuchung über die Regierbarkeit von Stadtstaaten zu dem Schluß kam, daß eine Veränderung der Verfassungen nötig sei.

Das bisherige Verfahren, wonach die Partei ihre Regierungsmitglieder bestimmt, hatte die Hamburger SPD Anfang der siebziger Jahre eingeführt und als demokratischen Erfolg gefeiert. Die Folge war allerdings, daß der linke und der rechte Flügel - sie dominieren jeweils einzelne der sieben Hamburger Bezirke - proportional ihre Kandidaten im Senat unterbrachten. Nach Qualität wurde dabei kaum gefragt, und „Staatsmann“ Dohnanyi mit seinem Hang zu großen Würfen sah sich - nicht zu Unrecht - umgeben von einem Haufen bestenfalls mittelmäßig qualifizierter Provinzler.

Neben dem Kompetenzdschungel stieß Dohnanyi noch gegen eine andere Wand - seine eigene Partei. Als Not-Import von der Bundespartei 1981 an die Elbe geholt, beschrieb er sieben Jahre später sein Dilemma so: „Eine Intrige kostet in Hamburg 23 Pfennig“ - ein Ortsgespräch also, mit dem Verabredungen getroffen, Putschpläne vereinbart oder einfach nur Blockadepolitik abgesprochen wird. Einer, der in den letzten Jahren seine Telefonrechnung trotz Ortstarif in die Höhe trieb, ist Henning Voscherau. Der zurückgetretene Sozialsenator Jan Ehlers nennt ihn gar den „Organisator des rechten Lagers“. Das rechte Lager, das ist vor allem der SPD -Bezirk Wandsbek, der ein Viertel der Delegierten auf dem Landesparteitag stellt. Aus ihm stammen so ziemlich alle Senatoren, die es unter dem Markennamen „Betonfraktion“ zu bundesweiter Bekanntheit brachten.

Bis zum Abschluß der Koalitionsvereinbarungen mit der FDP hatte diese Riege auch einen der ihren außerhalb des Senates in bedeutender Position: Henning Voscherau gelang es, als Chef der SPD-Bürgerschaftsfraktion die zerstrittenen Abgeordneten zusammenzuhalten. Daß er damit Dohnanyi den Rücken freihielt, mußte dieser teuer bezahlen. In einem als „Kellerparlament“ bezeichneten Mauschelgremium zog Voscherau mit anderen Partei-Rechten die Fäden sozialdemokratischer Politik.

Als die Koalition stand, trat Voscherau ab; er glaubte wie viele andere - nicht an eine sonderlich lange Lebensdauer des Bündnisses von SPD und FDP. Denn von sozialdemokratischer Politik blieb nicht mehr viel übrig, vor allem für die SPD-Linken wurde ein Tabu nach dem anderen gebrochen. Besonders peinlich: Der großmäulig angekündigte Ausstieg aus der Atomenergie - Hamburg ist von vier AKWs umstellt - per Satzungsänderung beim städtischen Energieversorgungsunternehmen HEW mußte ad acta gelegt werden. Aber auch die Rechten ließen Federn - in Sachen Hafenstraße ebenso wie bei der bloßen Übernahme der Neue -Heimat-Wohnungen und nicht des gesamten Unternehmens.

Jetzt muß Voscherau aus dem Hintergrund treten, hinein in die erste Reihe. Eine Alternative zu ihm, das nutzte er geschickt aus, gibt es nicht. So ergaben sich die Parteilinken widerstands- und diskussionslos ihrem Schicksal, als es um den Abbau innerparteilicher Demokratie ging. Und so muckten auch die Rechten nicht auf, daß ihre Vertreter im Senat auf nur noch zwei Personen reduziert wurden.