Die Macht der Arbeitnehmerbasis

■ In Italien lehren Basiskomitees Gewerkschaften und Arbeitgebern das Fürchten

Die Macht der Arbeitnehmerbasis

In Italien lehren Basiskomitees Gewerkschaften und

Arbeitgebern das Fürchten

Tausende von kleinen Gruppen von Arbeitnehmern sorgen dafür, daß Staat und Industrie das Zittern bekommen: Autonome, lokal organisierte Komitees bringen mit ihren spontanen Streiks nicht nur das Verkehrssystem durcheinander, sondern blamieren auch die verrosteten Gewerkschaften.

Die Situation schien, für italienische Verhältnisse, geradezu paradiesisch: Der Schnellzug Rom-Neapel, sonst bis auf die Durchgänge vollgepfropft, stand völlig leer im Bahnhof Termini, und dies zwei Minuten vor Abfahrt. Hatte die Staatsbahn endlich die langgeforderten Entlastungszüge bereitgestellt? Mitnichten. Der Zug war zwar leer; aber er blieb es auch die gesamte Strecke über. Niemand konnte einsteigen - die drei Schaffner weigerten sich, ihre Schlüssel zum Öffnen der automatischen Türen hervorzuholen. Die drei gehören einem „comitato di base“ an, kurz „COBAS“ autonome, lokal oder regional organisierte Arbeitnehmer, die in den letzten zwei Jahren eine erstaunliche Schlagkraft und Durchsetzungsfähigkeit entwickelt haben. Ein paar Schaffner, zwei Zugführer und drei fürs Nachfüllen von Wasser zuständige Arbeiter in Rom oder Mailand genügen, um das gesamte italienische Verkehrssystem spürbar durcheinander zu bringen und entweder gar keine Züge oder Geisterkonvois wie den von Rom nach Neapel verkehren zu lassen.

Mit lediglich 8.000 Streikenden haben die COBAS zum Beispiel 1987 mehrere Male über 80 Prozent des Schienenverkehrs blockiert, mit einem Prozentsatz von nur 15 Prozent der Fluglotsen und, ein andermal, zehn Prozent der Alitalia-Piloten, den Himmel über Italien von Jets 'gesäubert‘.

In den italienischen Schulen freuen sich Kinder derzeit mächtig über die Entwicklung - Mitglieder der COBAS weigern sich, die Mitte Juni fälligen Zeugnisse auszustellen. Damit wird auch ein Sektor betroffen, der sich noch immer der „COBAS-Immunität“ rühmt - die Wirtschaft: Gibt es keine Zeugnisse für die Schulabgänger, hat man keine Einstellungskriterien, „und kauft“, so die erregte Feststellung eines regionalen Handelskammerpräsidenten, „die Katze im Sack“.

Die großen Gewerkschaften, jahrzehntelang an ihr Monopol in Fragen der Arbeiterbewegung gewohnt, haben erst sehr spät erkannt, welche Gefahr nicht nur den Arbeitgebern, sondern auch ihnen selbst von den aufmüpfigen Kollegen der Basis droht. Sowohl die kommunistisch beeinflußte Gewerkschaft CGIL wie die katholische CISL und die sozialistische UIL hielten die COBAS zunächst für Randalierergruppen, die Dampf ablassen wollten, und wurstelten im gewohnten Trott weiter alle Jahre freundliche Verhandlungen mit den Arbeitgebern, drei Großdemonstrationen, zwei Stunden Warnstreik, Vertrag, Feierabend. Und damit die Arbeitgeber ja keine Angst bekommen, verpaßten sich die Gewerkschaften voriges Jahr auch noch ein „autoregolamento“, einen Verhaltenskodex, der zum Beispiel Streiks im Umfeld von Feiertagen verbietet und allerlei Fristen zur Ankündigung von Ausständen festlegt.

Die Arbeitgeber (einschließlich der mächtigen Präsidenten der unzähligen staatlichen Industriekomplexe) waren's zufrieden und sahen die Zeit für die endgültige Liquidierung der Arbeiterbewegung gekommen.

Den Auftakt bildete 1980 eine Machtprobe zwischen Gewerkschaften und dem Fiat-Konzern in Turin, die mit dem Zusammenbruch eines mehrwöchigen Streiks endete. 1983 erkaufte sich der Sozialist Bettino Craxi seinen Einzug ins Amt des Ministerpräsidenten mit der Abschaffung der gleitenden Lohnanpassung an die Inflationsrate („scala mobile“) und mobilisierte 'seine‘ Gewerkschaft UIL gegen ein vom PCI eingeleitetes Referendum zur Beibehaltung der scala mobile - die Volksbefragung endete negativ, und die vereinte Arbeiterbewegung war endgültig tot.

Heute könnten sich die meisten der damaligen Totschläger sonstwohin beißen - die Zerstörung der Großgewerkschaften hat unendlich viele kleine COBAS entstehen lassen, die zwar gegen den Koloß CGIL-CISL-UIL nur wie Mücken aussehen, dafür aber in ganzen Schwärmen anrücken und Politikern wie Managern viel mehr Angst einjagen als die einstigen Bonzen: hatte man seinerzeit allenfalls eine Handvoll Ansprechpartner, die dann auch für die Einhaltung der vereinbarten Regeln sorgten, so hat man es nun mit tausenden kleiner und kleinster Gruppen zu tun, mit denen zentrale Verhandlungen unmöglich sind - und die man auch nicht wie die alten Gewerkschaften durch Integration ihrer Führer ins Machtkartell kaltstellen kann.

Dazu kommt die enorme Beweglichkeit der COBAS: Ein Rundruf zwischen benachbarten Komitees genügt, und vom nächsten Morgen an wird gestreikt, manchmal nur punktuell, manchmal in ganzen Regionen. Die Regierung erweist sich als hilflos und sucht nun ihrerseits Hilfe bei den verrosteten Großgewerkschaften.

Um deren Image aufzupolieren, versprechen Arbeits- und Schatzminister den Branchengewerkschaftern beträchtliche Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzung - doch kaum wird das Ergebnis bekannt, ertönt ein trockenes „No“ der COBAS: Sie wollen - Politikern wie Gewerkschaftern gleichermaßen unverständlich - vor allem inhaltliche Reformen festschreiben, Verbesserungen am Arbeitsplatz und effektivere Arbeit. Gedemütigt und von den eigenen Mitgliedern niedergestimmt, betteln die Großen erneut um Verhandlungen, bekommen sie - und fallen wieder durch.

Zwar übt sich die Regierung noch immer im Faustschwingen. Doch schamhaft haben längst Verhandlungen auch mit den COBAS begonnen - sogar auf Ministerebene (die COBAS senden dazu von den örtlichen Gruppen gewählte Sprecherdelegationen, über die Ergebnisse wird an der Basis abgestimmt). Die Zulassung der Basisleute zu allen Vertragsabschlüssen ist allenfalls eine Frage der Zeit.

Einen wichtigen bürokratischen Erfolg vermelden sie schon: Ein oberitalienisches Gericht hat die COBAS als „gewerkschaftliche Interessenvertretung“ anerkannt - „weil sie in vielen Regionen den Willen der Arbeiterschaft klarer repräsentieren als die alten Gewerkschaften“.Werner Raith