VIELE LEERE STÜHLE

■ Die "Spilkischte" zeigt Ionesco beim Spielplatz

VIELE LEERE STÜHLE

Die „Spilkischte“ zeigt Ionesco beim Spielplatz

Als ich im zarten Alter von acht Jahren noch mit meinem jüngeren Bruder das Schlafzimmer teilte, verbrachten wir die Zeit vorm Einschlafen, wenn per elterlicher Zwangsverordnung schon das Licht gelöscht war, mit dem Erfinden von Geschichten. Wir führten unsere Protagonisten, vorzugsweise die lebensbegleitenden Stofftiere, durch Dschungel, Wüste und die Metropolen dieser Welt. Und was auch immer ihnen zustieß, die Fortsetzung folgte, sobald es dunkel war.

Das Konzept „Theater für alle“ der Baseler Gruppe „Spilkischte“ baut darauf, daß Kinder noch unzensiert den unglaublichsten Tagträumen und wildesten Phantasien ihren Lauf lassen. So spielt man Ionescos „Stühle“, die manchem Studenten der Literaturwissenschaft Kopfzerbrechen bereiten, als „Theater für alle“. Absurd?

Als die weiße kreisrunde Spielfläche noch leer und unverstellt von Stühlen ist, verwandeln sich Ruth Oswalt und Gerhard Imbsweiler in die beiden Alten aus Ionescos Stück. Ein bißchen weißer Puder macht die Haare grau, das Gesicht faltig, die Körperhaltung sinkt zusammen, und die Bewegungen werden müde und steif vom Rheuma. Die beiden Alten sind mittlerweile seit 75 Jahren verheiratet und infolge dessen völlig aufeinander bezogen. Immer noch glaubt sie von ihm, er sei ein verkanntes Genie. Eigentlich hätte er Chef -Marschall, Chef-Prediger oder auch Chef-König werden können. Er selbst wiederum hegt und pflegt die Hoffnung an die große, alles erklärende und immens wichtige Botschaft, an der er seit Jahren arbeitet.

Und dann klingelt es, und die beiden Alten empfangen imaginären Besuch. Auf endlos herbeizuschaffenden Stühlen natürlich ist sie es, die schleppt, für's leibliche Wohl der Gäste sorgt, während er Konversation pflegt - nimmt eine beinahe unüberschaubare Menge von ausgesprochen wichtigen Besuchern Platz, die alle eines gemeinsam haben: für den Zuschauer bleiben sie unsichtbar. Den beiden Schauspielern jedoch gelingt es in dem „monologischen Dialog“ durch Färbung der Stimme, Körperhaltung, Akzentuierung der Repliken für den Zuschauer deutlich zu machen, wie sie zu den einzelnen Gästen stehen. Wenn der alte Mann einer unsichtbaren „Schönen“ seine über Jahrzehnte verheimlichte Liebe gesteht, zweifelt man weder an seiner Leidenschaft noch an ihrer begehrenswerten Schönheit. In der differenzierten und sorgsamen Inszenierung von Beat Fähs funktioniert das Spiel der Alten mit den unsichtbaren Gästen wie das Telefongespräch im Film. Als sich dann noch der Kaiser als hoher Besuch ansagt, ist es Zeit für die Verkündigung der Botschaft. Der Redner wird angesagt, und die beiden Alten verabschieden sich aus dem Leben in dem Bewußtsein, einen bedeutsamen Höhepunkt geschaffen zu haben. Zurück bleiben ein lächelnder aber taubstummer Redner und viele leere Stühle.Susanne Raubold

Am 9. und 10. stuhlt man um 19 Uhr in der Kongreßhalle (K1).