KLINGENDE SPIEGEL - TÖNENDE WÄNDE

■ "Het Slagwerkprojekt" auf dem Spielplatz

KLINGENDE SPIEGEL

-TÖNENDE WÄNDE

„Het Slagwerkprojekt“ auf dem Spielplatz

Die Königin von Silbenien hat 891 Spiegel, sie braucht noch mehr, ihre Truppen plündern die Nachbarländer, um die Sammlung zu erweitern. Die Königin ist nicht einfach eitel oder böse, sie ist besessen: gefangen in einem Palast aus tönenden Spiegelwänden - über 300 durchsichtige Schlagzeugfelle dröhnen und flüstern und treiben zum Wahnsinn. Weil die Spiegel es nämlich leid sind, ständig versichern zu müssen, wer hier die Schönste sei.

Das gute alte Schneewittchen ist vom Kindertheater NJT (Den Haag) zu einem fantastischen Schlagwerkprojekt gemacht worden. Vor drei Jahren begann man zu experimentieren mit diesen neuen, durchsichtigen Fellen, die ohne Resonanzboden klingen können - im Stück sind dann noch ein paar andere Percussioninstrumente mit von der Partie, vor allem das Marimbaphon mit seinem wabernden und zugleich drögen Märchenklang. Und das Ergebnis ist perfekt: Natürlich bleibt es die alte Grimmsche Geschichte, die den Kindern da erzählt wird, fast ganz genauso, wie es sich gehört: mit Schleppkleid, Schloß und Wald, mit den Zwergen und einem Schneewittchen wie aus dem Bilderbuch. Aber die Schauspieler sind auch Musiker, die Musiker auch Komödianten.

Allesamt glänzend: der Tambourmajor wie die Kammerzofe, die Königin und ihr Diener, die fünf (nicht sieben) Zwerge, die auf Xylophonen Nüsse knacken. Die Story wurde beim Wort genommen - und doch das altbekannte, ritualisierte „Es war einmal“ ganz und gar vom Staub befreit. Ist es nicht schrecklich: Töten als Beruf, wenn man Soldat ist (oder Jäger)? Ist sie nicht grauenvoll komisch, diese Mutter, die alles haßt? Schneewittchen weiß nicht, was Zwerge sind, und die Zwerge müssen erst lernen, wieso ein Kind auch ein Mensch ist, und wie man weint. Eine genau auf die Situation komponierte (Minimal-)Musik hilft dabei, sie macht Gänsehaut oder Lachen, je nachdem.

Das NJT hat es fertiggebracht, einen uralten Hut wieder aufzufrischen, sie bringen eine komplizierte und mythologisch durchgefeilte Interpretation ganz selbstverständlich über die Rampe: Es ist das Einfache, was schwer zu machen ist. Selbst bei fernseherprobten Sechsjährigen kullern die dicken Tränen, wenn, wie sie's ja eigentlich kennen, das schöne Kind im gläsernen Sarg liegt und als die anderthalb Stunden (ohne Pause) vorbei sind, da waren das für alle gerade eben fünf Minuten. Mit roten Backen rennen die Kinder den Schauspielern hinterher...

Nur die ersten drei Reihen sind wirklich besetzt, auf jedes Kind im Publikum kommen etwa zehn Erwachsene - Profis und Kollegen, Kindertheatermacher. Das soll angeblich ganz normal sein bei solchen Festivals - aber die ohrenbetäubend miese Organisation der Berliner „Spielplatz„-Werkstatt tut auch noch, was sie kann, dazu. Im Prospekt steht, das Stück sei ab acht Jahre - im Programm ab sechs, und auch kleinere Kinder kämen auf ihre Kosten. Es ist aussichtslos, telefonisch Karten zu ordern, trotz der vielen schönen Telefonnummern. Nur an den ersten drei Tagen gibt es „Sneeuwwitje“, heute und morgen um zehn Uhr leider zum letzten Mal. Kürzt das Frühstück ab in den Kinderläden und auf in die Kongreßhalle!E.E. Bauer