Wirtschaftsförderung auf Rollschuhen

■ Nach Cats für Hamburg jetzt Starlight Express für Bochum: Ein mit enormem finanziellen und technischen Aufwand produziertes Musical des Erfolgskomponisten Webber ( Cats ) hat am Sonntag Premiere /

Wirtschaftsförderung auf Rollschuhen

Nach „Cats“ für Hamburg jetzt „Starlight Express“ für

Bochum: Ein mit enormem finanziellen und technischen Aufwand produziertes Musical des Erfolgskomponisten Webber („Cats“) hat am Sonntag Premiere / „Starlight“ - ein

Wirtschaftsförderungsprojekt, das Touristenströme und

Investoren nach Bochum bringen soll

Von Anne Weber

Der Schuster kann sein Glück kaum fassen. Der Apotheker lacht, der Masseur reibt sich vergnügt die öligen Hände, und der Disco-Besitzer dreht gut gelaunt die Musik lauter. Was dem ersten die Rollschuhriemen sind, ist dem zweiten das Wundspray. Der dritte macht's mit verrenkten Muskeln, und der vierte sorgt für unbeschwertes Nachtleben. Seit April sind sie alle vier im Geschäft mit „Starlight Express“. Ihre Serviceleistungen nimmt die internationale „Starlight„ -Truppe, etwa 80 stimmbegabte RollschuhläuferInnen, in Anspruch. „Starlight“ wird von dem weltweit erfolgreichen Musicalvermarkter Friedrich Kurz produziert. Die Premiere dieses Musicals von Andrew Lloyd Webber ist am 12.Juni.

Von da an sollen entschieden mehr als nur die vier Bochumer tatkräftig in die Hände spucken können. So hat es zumindest der Wirtschaftsdezernent Freimuth versprochen. Unter seiner Federführung beschloß die Stadt vor zwei Jahren, exklusiv für „Starlight“ eine Halle zu errichten. Kosten: 24,5 Millionen Mark. Die Stadtväter nannten das Musical „ein Wirtschaftsförderungsprojekt“. Hamburg galt ihnen dabei als Vorbild: Dort hat Kurz mit seiner Produktion des Webber -Musicals „Cats“ seit der Premiere im April 1986 das Tourismusgeschäft enorm angekurbelt. 80 Prozent der „Cats„ -BesucherInnen reisten extra wegen des Musicals von auswärts an. Besonders das dort ansässige Hotel- und Gastronomiegewerbe erlebt seit „Cats“ einen stetigen Aufschwung. Insgesamt, Reeperbahn, Fischmarkt und Einzelhandel eingeschlossen, schätzt man in Hamburg eine jährliche Umsatzsteigerung von etwa 43 Millionen Mark.

„Starlight“ - und

die Kassen klingeln?

Ähnlich wie Hamburg mit „Cats“ soll nun auch Bochum mit „Starlight“ ins lukrative Tourismusgeschäft einsteigen. Jetzt, kurz vor der Premiere, sind die Erwartungen der Bochumer Stadtväter in Bezug auf das „Wirtschaftsförderungsprojekt“ allerdings bereits geschrumpft. Der städtische Pressesprecher gibt sich zurückhaltend: „Sehen Sie“, sagt er, „um Mißverständnissen vorzubeugen, die Stadt hat nie behauptet, das „Starlight„ -Musical könnte eine direkte, unmittelbare Wirtschaftsförderung bedeuten.“ Aha! „Wir erhoffen uns nur, Bochum als Standort für wirtschaftliche Investoren attraktiver zu machen.“ Ach so! Der Geldsegen kommt also später. Na ja, dann warten wir eben, wie überhaupt halb Bochum auf den groß angekündigten wirtschaftlichen Strukturwandel wartet.

Zum Glück ist die Warterei nicht langweilig. Im Gegenteil, es ist eine Zeit voller Hoffnung, Jubel, Spannung. Gastronomie und Hotelgewerbe hoffen inständig auf eine wahre Flut von „Starlight„-BesucherInnen aus dem ganzen Bundesgebiet, doch bislang halten sich die Reservierungen noch in sehr bescheidenem Rahmen. Die Regionalpresse bejubelt in den höchsten Tönen fast täglich das anstehende Ereignis. Und die nicht unbeträchtliche Menge der „Starlight„-GegnerInnen ist gespannt, wie lange das Musical braucht, um sich als kultureller und wirtschaftspolitischer Flop zu erweisen. Bereits 1986, als die Stadt plante, Friedrich Kurz für die Produktion des Webber-Musicals extra eine Halle zu bauen, erklangen ihre Warnrufe: Bochum ließe sich nicht mit der touristisch attraktiven Metropole Hamburg vergleichen, der Besucherstrom würde ausbleiben. Die Stadt übernehme sich mit den Baukosten vollständig, da Kurz nur 350.000 Mark Jahresmiete über einen vertraglich nicht festgelegten Zeitraum zwischen drei und zehn Jahren zahle. Die Halle sei auf „Starlight“ maßgeschneidert und mache längerfristig den Umbau zu einer Mehrzweckhalle mit 1,6 Millionen Mark Kosten nötig. Außerdem sei sie überflüssig, Bochum habe bereits genügend Veranstaltungsraum.

Als dann der nordrhein-westfälische Städtebauminister Zöpel großzügig in die Tasche griff, um das 24,5-Millionen-Projekt mit 9,1 Millionen Mark zu ünterstützen, versuchten die Grünen über eine Klage beim Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen, die ganze Sache zu stoppen, erfolglos. Halle und ein dazugehörendes Parkhaus wurden gebaut. Bochumer Busse im satten Atlantikblau der „Starlight„-Broschüren fahren inzwischen straight auf Werbekurs. Der Verkehrsverbund bietet den BesitzerInnen einer Eintrittskarte 24 Stunden lang kostenlose Fahrt quer durchs Ruhrgebiet mit den „Öffentlichen“.

Happening gegen

die Kommerzkultur

Die „Starlight„-GegnerInnen sind für das Projekt allerdings immer noch nicht zu begeistern. Sie werden am Samstag vor der Premiere eine „Jubelparade“ inszenieren. Ein Happening in der Innenstadt, unweit der „Starlight„-Halle ist geplant für alle, die sich die gepfefferten Eintrittspreise von 25 Mark an aufwärts nicht leisten können. Die VeranstalterInnen der Jubelparade - Autonome, Grüne und BochumerInnen aus der Off-Kulturszene - erwarten vor allem SozialhilfeempfängerInnen, StudentInnen, RentnerInnen und ArbeiterInnen zu ihrem Spektakel. So ist „Starlight“ im weitesten Sinne irgendwie doch für alle da.

Es bleibt da noch die Frage nach dem kulturellen Wert einer Story über rasende „Eisenbahnen“, die auf Rollschuhen um die Wette jagen. Die etablierten und etabliertesten Kulturschaffenden der Stadt meckern zwar schon seit langem über das „Kommerz-Musical“, nutzen es aber dennoch ausgiebig zur Selbstdarstellung. Einer der ersten Kategorie, Willi Thomczyk mit Namen, wandelte vor Wochen seinen Protest in Inspiration um. Er produzierte ein Gegenmusical. Er nennt es provokant „Übern Jordan“, was uns sicher sagen soll, daß im Ruhrpott doch eh alles hinüber ist, und dem Intendanten des Bochumer Schauspielhauses, Franz Patrick Steckel, bietet „Starlight“ endlos Gelegenheit, über die Kommerzkultur zu wettern.

Bochum ist beschäftigt. Was kann man mehr verlangen? Und sollte sich aus Bochum doch nicht Hamburg machen lassen, muß das kein Argument gegen die Politik der Stadt sein. Sie braucht nur einen anderen Namen. Wirtschafts- statt Freizeitförderungspolitik vielleicht. Auf dem Weg zur Freizeitgesellschaft, zur Nullstundenwoche ohne Lohnausgleich, hat „Starlight“ schon jetzt, vor der Premiere, einen „Beitrag“ geleistet.