Nach den Contras - die Anspruchsoffensive

■ Seit mehr als drei Monaten streiken Managuas Bauarbeiter für höhere Reallöhne / Vorreiter eines durch Krieg und Ausnahmezustand rückgestauten Verteilungskampfs, in dem es nichts zu verteilen gibt

Nach den Contras - die Anspruchsoffensive

Seit mehr als drei Monaten streiken Managuas Bauarbeiter für höhere Reallöhne / Vorreiter eines durch Krieg und

Ausnahmezustand rückgestauten Verteilungskampfs, in dem es nichts zu verteilen gibt / Repressive Gewerkschaftspolitik der Sandinisten hat eigenständige Interessenvertretung

behindert

Von Michael Rediske

Über zwei Monate schon hält der Waffenstillstand in Nicaragua, das Ende des Contra-Krieges ist in Sicht. Doch bislang werden die Sandinisten dieses Erfolges noch nicht so recht froh. Ihre Militärausgaben, die rund 60 Prozent des Staatshaushalts verschlingen, können sie nur allmählich senken, solange die Contra ihre Waffen noch besitzt. Gar nicht allmählich, sondern plötzlich, sieht die Regierung sich dagegen Ansprüchen aus der Bevölkerung ausgesetzt, die Krieg und Ausnahmezustand bislang zurückgestaut hatten. Den Anfang haben die Bauarbeiter von Managua gemacht. Seit mehr als drei Monaten streiken sie für eine Verdreifachung ihrer Löhne. Tatsächlich sind die Reallöhne der Nicaraguaner in den letzten vier Kriegsjahren immer weiter gesunken - um wieviel genau, läßt sich schwer berechnen, weil Reis, Bohnen oder Speiseöl oft nicht zu den offiziellen Preisen, sondern nur auf dem Schwarzmarkt zu haben sind.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, warum gerade die Bauarbeiter als erste ihre Ansprüche anmelden, obwohl es noch gar nichts zu verteilen gibt. In den siebziger Jahren besaßen sie die einzige Branchengewerkschaft des Landes (SCAAS), 1973 trotzten sie mit dem größten Streik des Jahrzehnts dem Diktator Somoza, der mit seiner Familie das Baugeschäft kontrollierte, eine kräftige Lohnerhöhung ab. Ihre Führung gehörte traditionell zur moskautreuen Sozialistischen Partei (PSN) und deren Gewerkschaftszentrale, während die Sandinisten sich auf den Aufbau einer Land- und Stadtguerilla konzentrierten. Die Gewerkschaftserfahrung der FSLN beschränkte sich daher auf einige Landbesetzungen, als sie 1979 die Macht übernahm.

Jetzt begann sie zwar, in großem Stil Betriebsgewerkschaften zu gründen, ihr Dachverband CST (Sandinistische Arbeiterzentrale) meldete schon ein gutes Jahr später 82 Prozent aller im Land registrierten Gewerkschaftsmitglieder. Doch von Beginn an waren die sandinistischen Gewerkschaften eher Transmissionsriemen und „Massenorganisation“ denn eigenständige Interessenvertretung. Die Folge: Die älteren Gewerkschaften der Sozialistischen wie der Kommunistischen Partei wollten sich nicht unterbuttern lassen - weder in einer Einheitsgewerkschaft noch in der „Nationalen Gewerkschaftskoordination“, die denn auch nie funktionierte. Um sich dennoch ihre Politik einer zentralen Wirtschaftslenkung nicht durch lokale Streiks durchkreuzen zu lassen, griffen die Sandinisten - schon lange vor Beginn des Contra-Krieges - zur Repression. Links-Oppositionelle Gewerkschafter wurden für eine Weile ins Gefängnis gesteckt, derweil baute man flugs FSLN-Gewerkschaftsgruppen in ihren Betrieben auf. 1980 traf es den „Frente Obrero“ (mit maoistischer Tradition), ein gutes Jahr später die kleine CAUS, die zur Kommunistischen Partei (einer Abspaltung der Sozialisten) gehört.

Viel Konfliktstoff hat sich seitdem aufgestaut. Der Waffenstillstand mit der Contra und das wiedererlangte Streikrecht haben jetzt den offenen Verteilungskampf eingeläutet, die Bauarbeiter übernehmen die Vorreiterrolle. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Opferbereitschaft der Mehrheit der Nicaraguaner auch noch über das Kriegsende hinausreicht. Oder ob erst das Fressen kommt und dann die Revolution.