Prozeß gegen türkische Kommunistenführer

■ In Ankara forderte der Staatsanwalt Hunderte Jahre Gefängnis für die beiden Kommunistenführer Kutlu und Sargin, die im Vertrauen auf die Demokratisierung vor sieben Monaten in die Türkei zurückgeke

Prozeß gegen türkische Kommunistenführer

In Ankara forderte der Staatsanwalt Hunderte Jahre Gefängnis für die beiden Kommunistenführer Kutlu und Sargin, die im

Vertrauen auf die Demokratisierung vor sieben Monaten in die Türkei zurückgekehrt waren /„Unter Strafe steht der

kommunistische Gedanke“

Ankara (taz) - Menschenauflauf in Ankara: Vor dem Staatssicherheitsgericht Ankara beginnt der Prozeß gegen die Spitzenfunktionäre der „Vereinigten Kommunistischen Partei“, Haydar Kutlu und Nihat Sargin: Auftritt für die ausländischen und türkischen Journalisten, für europäische Parlamentarier, Menschenrechtskämpfer und die zum Prozeß zugelassenen 483 Rechtsanwälte. Parlamentarier und ganz Prominente werden bevorzugt behandelt. Großformatigen Fotos in den türkischen Zeitungen ist zu entnehmen, daß es dem griechischen Komponisten Mikis Theodorakis sogar gelang, den Angeklagten Kutlu zu küssen.

Einfachen Türken, die vor dem Gerichtsgebäude Einlaß begehrten, ergeht es schlimmer - eine Randnotiz in den langen Nachrichtenartikeln zum Prozeß: Vier Männer haben gerufen „Es lebe die Demokratie“ - sie wurden von der Zivilpolizei verhaftet und irgendwohin weggebracht. Ein Großteil der Verteidiger darf beim Prozeß nicht anwesend sein. Der Reihe nach werden sie in den Gerichtssaal geführt und müssen nach wenigen Minuten wieder den Saal räumen, der rund 150 Personen faßt. Petitionen der Verteidiger, einen größeren Saal zur Verfügung zu stellen, werden vom Gericht abgelehnt. „Das ist doch kein Prozeß“, urteilt das Massenblatt 'Hürriyet‘, das sonst gerne gegen Kommunisten hetzt.

Der Prozeß beruht auf einem Mißverständnis. Die seit Gründung der türkischen Republik illegale KP hielt im Zuge der sogenannten Demokratisierung die Zeit für gekommen, als legale politische Partei aufzutreten: Im Vorfeld der türkischen Nationalwahlen kündigte sie die Rückkehr von Kutlu und Sargin an. Ministerpräsident Özal wie auch andere Regierungsmitglieder hatten in Interviews den Eindruck erweckt, das Regime werde in Bezug auf demokratische Rechte größere Spielräume zulassen.

Doch nicht die KP, sondern die Regierung bestimmte die Inszenierung: Kutlu und Sargin wurden bei ihrer Ankunft vor sieben Monaten auf dem Flughafen verhaftet. Das Regime konnte es sich sogar leisten, die beiden prominentesten politischen Gefangenen bei Verhören zu foltern. Aufgrund von Erkenntnissen, die seit der Rückkehr der beiden gewonnen wurden, kam eine breit angelegte Kommunistenverfolgung im Land in Gang. Zwei Rechtsanwälte, die die Verteidigung der KP-Funktionäre übernommen hatten, fanden sich auf der Anklagebank wieder.

Die 230-seitige Anklageschrift fordert für Kuutlu Gefängnis zwischen 271 und 479 Jahren, für Sargin zwischen 276 und 504 Jahren. Da die Anklageschrift die Bestrafung wegen der Führung mehrerer illegaler Organisationen fordert, wäre das entsprechende Strafmaß allerdings die Todesstrafe. So sprach denn auch das staatliche türkische Fernsehen folgerichtig davon, der Staatsanwalt habe die Todesstrafe gegen die beiden Angeklagten beantragt.

Die Anklageschrift betont ausdrücklich, daß den Angeklagten keine Gewaltakte vorgeworfen werden können. Es geht um die Bestrafung der bloßen Gedanken. Knapp und bündig faßte der Staatsanwalt Ulkü Coskun bei der Anklageverlesung in einem Satz zusammen, worum es geht: „Der kommunistische Gedanke (wird) in den Gesetzen der Republik unter Strafe gestellt.“ Am 17. Juni wird weiter verhandelt.öe