Auf zur großen Defensive

■ Der sowjetisch garnierte EG-Fußball-Gipfel verspricht taktischen Abgewöhnungsfußball

Auf zur großen Defensive

Der sowjetisch garnierte EG-Fußball-Gipfel verspricht

taktischen Abgewöhnungsfußball

Das Ausgleichstor des „Antreibers“ Matthäus am letzten Samstag gegen die unterbesetzten Jugos kommentierte der alerte ARD-Säuseler Heribert Faßbender, als ginge es darum, eine schweißtriefend-schmerbäuchige Altherrenmannschaft zum Durchhalten aufzumuntern: „Na bitte, es geht doch noch, meine Herren!“ Das erfolgsverwöhnte sozialdemokratische Bremen hatte Beckenbauers neokonservativen Rasen-Elferrat mit demonstrativem Desinteresse bestraft. Zum letzten EM -Test im Weserstadion kamen etwa soviel Zuschauer wie zum Zweitliga-Aufstiegsspiel Aschaffenburg gegen Unterhaching.

Zudem glänzte das verstreute hanseatische Häuflein nicht gerade durch patriotische Pflichterfüllung. „Zum erstenmal wir schreiben inzwischen die 70.Minute - Deutschland, Deutschland-Sprechchöre!“, registrierte Faßbender zensorisch. Womöglich bleibt Neubergers designiertem Nachfolger Mayer-Vorfelder künftig keine andere Wahl, als rechtsextreme Fanclubs per DFB-Bus in Länderspielstadien zu chauffieren, um über neunzig Minuten durchgängig „Deutschland„-Rülpser sicherzustellen.

Der deutsche EM-Heimvorteil verspricht der mediokren DFB -Equipe keinen voraussetzungslosen Wärmestrom von den Rängen und den Zuschauern allenfalls masochistisches Plä sier. Ätzend taktischer Ergebnisfußball steht bei Euro 88 zu befürchten.

Theoretisch müßte die Sowjetunion haushoch Europameister werden, spielt doch der nationale Ukrainer-Verschnitt wie Gladbach einst in Weisweilers besten Zeiten. Freilich wird sich deren anachronistische Spielkunst einer synkretistischen Verschwörungsgemeinschaft des Teilnehmerrestes gegenübersehen. So krittelte denn auch Teamchef Beckenbauer nach dem glänzenden Sowjet-Start beim österlichen Viererturnier gegen Weltmeister Argentinien in Berlin, man habe nur „Fußball von vor zwanzig Jahren“ gesehen. Was den Fußball-Ästheten wie eine langersehnte spielerische Renaissance vorkam, wischte der straighte Rasenökonom als quantite negligeable beiseite.

Die sowjetische Spielkunst paßt den europäischen Minimalisten so wenig in den Kram wie Gorbatschows Perestroika sich den manichäischen Lokusparolen westlicher Hardliner fügt. Sawarow, Protasow und Co. ist bestenfalls die Rolle der kreativen Störenfriede eines feilschenden EG -Fußball-Gipfels zuzutrauen. Dessen Verlauf und Ergebnis könnte Kanzler Kohl im Februar in Brüssel politisch antizipiert haben. „Einen Triumph der schieren Kraft“ hatte damals Nina Grunenberg in der „ZEIT“ Kohls fragwürdigen Finalsieg über Margaret Thatcher genannt.Norbert Seitz