Euro 88: Das Heysel-Stadion läßt grüßen

■ Mit dem Spiel BRD-Italien beginnt heute die Fußball-Europameisterschaft in der Bundesrepublik

Euro 88: Das Heysel-Stadion läßt grüßen

Mit dem Spiel BRD-Italien beginnt heute die Fußball

-Europameisterschaft in der Bundesrepublik

Vor ziemlich genau drei Jahren provozierten britische Jugendliche im Gefolge des FC Liverpool im Brüsseler Heysel -Stadion Krawalle, die 39 Menschenleben kosteten. Im Schatten von Brüssel beginnt heute eine Europameisterschaft, bei der neben der Frage, wer gewinnt (Spanien natürlich, Sportred. Matti), die Fanproblematik im Brennpunkt steht.

Für Hermann Neuberger, den Präsidenten des Deutschen Fußball -Bundes, ist die Marschrichtung schon lange klar: „Wenn Hooligans kommen, muß der Knüppel raus. Es tut mir leid, aber die sind diese Sprache gewöhnt.“ Diesbezüglich kann sein Sicherheitsbeauftragter Wilhelm Hennes kurz vor der Europameisterschaft befriedigt feststellen, es sei „alles Menschenmögliche getan worden, um eine Katastrophe zu verhindern“.

Tatsächlich wurde im Zusammenhang mit der heute beginnenden Fußball-EM ein Sicherheitsapparat von bislang nicht gekanntem Ausmaß in Gang gesetzt. Schon am 25.10.1985 wurde ein „Ad-hoc-Ausschuß“ gegründet, der die Polizei- und anderen Maßnahmen zwischen den beteiligten Bundesländern und dem DFB koordinieren sollte. Leitung: Der Bundesminister des Inneren Friedrich Zimmermann. Neben den „bewährten Organisationsformen und Meldewegen der Sicherheitsbehörden“, konnte Staatssekretär Carl-Dieter Spranger feststellen, sei ein „europaweiter Fanmeldedienst integriert“.

Mit von der Partie ist auch die sogenannte TREVI-Gruppe (Terrorism, Radicalism, Extremism and Violance International) der EG-Kommission, ansonsten mit der „anhaltenden Gefährdung durch den nahöstlichen Terrorismus“ (Zimmermann) und den „Greueltaten“ von ETA und IRA beschäftigt. Bei der regen Reisetätigkeit hoher Polizeibeamter zwischen den Hauptstädten der beteiligten europäischen Länder wurden eifrig Erfahrungen mit randalierenden Fans und vor allem deren Daten ausgetauscht.

Ein Ziel der Aktionen: „Potentielle Gewalttäter“ (Polizeijargon) aus dem Ausland sollten bundesrepublikanischen Boden erst gar nicht betreten. Die Auslese begann bereits beim Verkauf der Eintrittskarten, den die Europäische Fußball-Union (UEFA) als Mitveranstalter in die Verantwortung der nationalen Verbände gelegt hat. Wer beispielsweise im Land der „eisernen Lady“ ein Ticket wollte, mußte erst einmal einen dreiseitigen Fragebogen ausfüllen. Die Angaben wurden dann mit einer „schwarzen Liste“ abgeglichen, auf der gut 1.000 Namen verzeichnet sind. Offenbar vergraulte dieses Prozedere viele britische Fußballanhänger, das kleine Kontigent von 8.000 Karten konnte nicht einmal ganz verkauft werden.

Polizeiliche Manndeckung

Auch in den liberaleren Niederlanden - von dort werden 70.000 Fans erwartet - stand vor der Eintrittskarte ein Computerbogen, der Verband prüfte unter Zugriff auf die Polizei-Kartei. Wer die Fragen nach Arbeitsplatz, Vorstrafen usw. zufriedenstellend beantwortet hatte, bekam neben dem Ticket noch einen extra „EM-Paß“.

Die Maßnahmen gehen noch weiter. Bei der Anreise werden die EM-Besucher von zivilen Polizisten begleitet, wer auf der Fähre von England nach Holland zu tief ins Glas schaut, wird schon gar nicht an Land gelassen. Und im Stadion sitzen zusätzlich ausländische Beamte, um bei der Identifizierung von „Störern“ zu helfen.

Vor Ort setzt man dann vor allem auf Präsenz der Uniformen. Wo sonst einige Hundert Polizisten für den Fußball-Alltag aufgeboten werden, sind bei der EM bis zu 2.500 Beamte im Einsatz, dazu fast 1.000 Ordner. „Unsere Einsatzpläne“, so der Sicherheitsbeauftragte Hennes zur taz, „sind so dick wie Telefonbücher.“

Als Grund für den gigantischen polizeilichen Aufwand und den „gläsernen Fan“, von dem neben persönlichen Daten auch Reiseweg und Aufenthaltsdauer vorab bekannt sind, wird vor allem das Europapokalspiel FC Liverpool-Juventus Turin angeführt. Damals, am 29. Mai 1985 im Brüsseler Heyselstadion, starben 39Zuschauer, als bei einer durch Schlägereien ausgelösten Panik eine Mauer einstürzte. Hauptvorwürfe an die belgischen Organisatoren: Die Anhänger der beiden Mannschaften hätten direkt nebeneinander gestanden, Polizei sei nicht in ausreichendem Maße postiert gewesen.

Stadien wurden zu

Festungen ausgebaut

In Bonn und beim DFB - die Europameisterschaft vor Augen löste das hektische Betriebsamkeit aus. Zudem wurde im September '85 von der „Stiftung Warentest“ bescheinigt, die bundesdeutschen Stadien hielten sicherheitstechnischen Anforderungen nicht stand. Bis heute wurden daraufhin 43 Millionen Mark in den acht EM-Stadien verbaut, das meiste für „Wellenbrecher und Fluchttore“, brennbare Materialien wurden ausgewechselt, Videokameras installiert. „Wir haben“, konstatierte UEFA-Präsident Jacques Georges, „unsere Stadien in Festungen verwandeln müssen.“

Außerdem gab das Innenministerium ein sogenanntes „Fan -Gutachten“ in Auftrag, man wollte guten Willen zeigen beim Aufspüren diese sozialen Phänomens. Doch in der Studie stand dann nicht, was die Auftraggeber lesen wollten, noch monatelang nach ihrer Fertigstellung wurde sie unter Verschluß gehalten. Zwar räumten die Autoren in ihrer Analyse ein, daß „es zur Zeit ohne Polizeieinsatz nicht geht“, aber grundsätzlich könnten „repressive Maßnahmen die Probleme nicht lösen, sie verlagern und verschärfen sie nur“. Und dem DFB wurde vorgeworfen, er drücke sich um die eigene Verantwortung, indem er das Fanproblem als „öffentliches, sportunspezifisches“ darstelle.

Fanprojekte im Abseits

Gelernt haben die Verantwortlichen davon nichts. Für DFB-Boß Neuberger sind Fan-Projekte noch heute ein „Arbeitsbeschaffung-Programm für Leute, die damit eine ständige Beschäftigung suchen“. Dementsprechend engagierte er sich für die Europameisterschaft (siehe Interview). 5.000 DM wurden für jede Stadt in Aussicht gestellt, die ein begleitendes EM-Programm auf die Füße stellt. Nur zwei Städte, Hannover und Stuttgart, mußten auf das Angebot zurückkommen. Doch die Kommunen zeigten sich nicht grundsätzlich knauserig. In Frankfurt beispielsweise wurde vom Sportdezerneten bezüglich der Fußballanhänger zwar „kein Handlungsbedarf“ gesehen, doch für eine Video-Show an der alten Oper konnte man 150.000 DM auftreiben. Und im Waldstadion wurde eine neue Videomatrix-Tafel installiert (Kosten: 12 Millionen), schließlich will die Stadt ihre Olympia-Bewerbung fürs Jahr 2004 betreiben.

So blieben alle ihrer alten Linie treu: auf der einen Seite kleckern, auf der anderen klotzen. Trotzdem gilt für den Sicherheitsbeauftragten Wilhelm Hennes, im Zivilberuf Präsident des Landgericht Aachen: „Ein Restrisiko bleibt. Wir können die Fans nicht im Käfig ins Stadion und wieder hinaus fahren.“ Da schwingt fast ein wenig Bedauern mit.N. Thömmes