■ Hör-Funken
: Sprachgetümmel / Maskenfeier

Hör-Funken

Sprachgetümmel. Gesetzt den Fall, es würde ein wortreicher Satz gesucht, von dem aber nur ein paar Buchstaben vorhanden sind, die nicht einmal ein Wort ergeben: Dann irrt man, geplagt von unzähligen Kombinationen, durchs Sprachgetümmel und befindet sich genau in der Lage, die durch die Erzähltechnik des Hörstücks Goller Vernichtung der Untiefen Wollust Tod erzeugt wird. Alles, was dort zu hören ist, sind Fragmente, und was erzählt wird, schließt sich zu keiner Geschichte, sondern zu einem großen Vielleicht: Der Mann, der vielleicht Goller heißt, begegnet dem Tod, der vielleicht seiner ist und außerdem eine makabre Gestalt, die wie in Alpträumen auftaucht und wieder verschwindet, und zwar an den unmöglichsten Orten, die vielleicht nichts miteinander zu tun haben. Das Umfeld von Gollers Existenz besteht aus: Verbrechen, Big Business, Sex und Betrug, aber da hier mysteriöse Fügungen und Täuschungen vorherrschen, ist nicht einmal sicher, wo die Vergangenheit aufhört und die Gegenwart beginnt. In diesem akustischen Spiegelkabinett huschen Schemen vorüber, die Bruchstücke einer rätselhaften Figur bilden, aber wenn die Rätsellösung näherkommt, erweist sie sich auch nur als Bruchstück und verschwindet als Gespinst. Alles also wie im richtig postmodernen Leben: die Welt eine Buchstabensuppe, und wer aus den herumschwimmenden Buchstaben eine homogene Bedeutung ablesen will, hat selbst Schuld. „Goller Vernichtung der Untiefen Wollust“: Sonnabend, 2100 - 2230, NDR 3

Maskenfeier. Der Mann, der aus lauter Masken bestand, war Schriftsteller, lebte in Lissabon, trank den Weißen wie den Roten gleich gern, hinterließ eine große Kiste voll beschriebenen Papiers, hieß Fernando Pessoa und wurde am 13. Juni vor genau 100 Jahren geboren. Am Vortag dieses Geburtstags wird für eine halbe Stunde tief in die Kiste gegriffen, aus der Zettel mit großartig wilden und schönen Gedichten hervorkommen, mit Anfängen wie: „Im schmerzenden Licht der großen Glühlampen der Fabrik / fiebere ich und schreibe. / Ich schreibe mit knirschenden Zähnen, Raubtier für diese Schönheit, / eine Schönheit, den Alten noch völlig unbekannt.“ Zum 100sten Geburtstag von Fernando Pessoa: Sonntag, 1830 - 1900, SFB 3up