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Ausnahmsweise nicht unmenschlich

■ Hessens Innenminister Milde: Angehörige der in Borken verschütteten türkischen Bergleute dürfen bleiben / Der türkischer Gewerkschafter Necati Gürbaca: Demonstration der Doppelzügigkeit

Ausnahmsweise nicht unmenschlich

Hessens Innenminister Milde: Angehörige der in Borken

verschütteten türkischen Bergleute

dürfen bleiben / Der türkischer Gewerkschafter Necati

Gürbaca: „Demonstration der Doppelzügigkeit“

Von Martin Kempe

Berlin (taz) - Natürlich, so versicherte der hessische Innenminister Milde am Donnerstag vor dem Innenausschuß des Landtags in Wiesbaden, könnten alle Familienangehörigen der beim Bergwerksunglück in Borken ums Leben gekommenen türkischen Bergleute solange in der Bundesrepublik bleiben, wie sie es wünschten.

Schon kurz nach der Katastrophe, der 35 deutsche und 16 türkische Bergleute zum Opfer gefallen sind, hatten die Landespolitiker eilfertig ihre Bereitschaft bekundet, in diesem Fall ausnahmsweise von der Anwendung der repressiven Abschiebungsgesetze abzusehen. Wie die Parlamentarier des hessischen Innenausschusses auf diese plötzliche Barmherzigkeit reagiert haben, ist nicht bekannt. Reaktionen gab es jedoch außerhalb des hessischen Landtags.

Die ausländerpolitische Sprecherin der Fraktion der Berliner Alternativen Liste (AL), Sevim Celebi, sagte gegenüber der taz: „Es ist bezeichnend, an was die Politiker angesichts dieses Unglücks als erstes denken. Sie empfinden nicht wirklich Mitleid, denken nicht zuerst an mögliche Hilfe, sondern daran, was sie angesichts der unmenschlichen Gesetzgebung mit den Familien machen könnten. Was der Innenminister jetzt versprochen hat, müßte eigentlich selbstverständlich sein.“

In den Äußerungen Mildes, so die AL-Abgeordnete, zeige sich vor allem das schlechte Gewissen angesichts der unmenschlichen Rechtslage. Angehörige von ausländischen Arbeitnehmern, die vor weniger als fünf Jahren in die BRD nachgezogen sind, haben nach derzeitigem Recht keine eigenständige Aufenthaltsberechtigung in der Bundesrepublik und müssen bei Scheidung oder Todesfall mit Abschiebung rechnen. Der Berliner IG-Metall-Sekretär Necati Gürbaca bezeichnete die Ankündigung von Milde als Zynismus. „Damit versucht er, sich als humaner Wohltäter darzustellen, der den Familien der Verschütteten einen Gnadenakt erweisen will.

In Wirklichkeit ist dies eine Demonstration der Doppelzüngigkeit der Ausländerpolitik. Man kann wohl erwarten, daß alle Menschen, deren Angehörige jahrelang für die bundesdeutsche Wirtschaft geschuftet haben, dieses Recht bekommen. Die IG Metall fordert seit Jahren das selbständige Aufenthaltsrecht für die Familienangehörigen ausländischer Beschäftigter“.

In Borken nähern sich die Bergungsarbeiten dem Ende. In der Nacht zum Freitag wurden zwei weitere Bergleute tot geborgen. Einer wurde bis Redaktionsschluß noch vermißt. Der hessische Umweltminister Weimar erklärte in Wiesbaden, zuverlässige Erkenntnisse über die Ursache der Katastrophe seien frühestens in einem Jahr zu erwarten.

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