Der Maxe vom Sender

■ "Reporter von Chaoten entführt"

Der Maxe vom Sender

„Reporter von Chaoten entführt“

In meiner Klasse war früher einer, der hieß Maxe und hatte das unschätzbare Talent, lügen zu können. So großartig, daß kein Lehrer anders konnte als ihm seine Geschichten, warum er heute wieder unmöglich am Sportunterricht teilnehmen könne, zu glauben. Bislang hab ich Maxe für den Größten gehalten, bis ich gestern die 'Morgenpost‘ las. Unter der Überschrift „Entführten Chaoten Berliner Radioreporter?“ stand eine unglaubliche Geschichte:

Der Reporter des Betonfunk 100,6, Jürgen Sch., war losgeschickt worden, um eine Live-Reportage über die Truppenparade über'n Sender zu schicken. Um 14.30 Uhr sollte er zum ersten Mal funken, doch er war verschwunden. Erst um 16.00 Uhr tauchte er wieder auf. Was er in der Zwischenzeit erlebt haben wollte, paßte offenbar so gut in die Wahn- und Wunschvorstellungen des Chefredakteurs Gafron, daß dieser sofort die Kripo alarmierte. Eine „Entführung“ wurde dem Staatsschutz aufgetischt, von „Chaoten“, vermutlich wegen der „kritischen Berichterstattung“ über das besetzte Lenne -Dreieck. Mit einem Auto habe man ihn verschleppt und eingesperrt. Später sei er dann wieder freigelassen worden.

Eine Nacht lang schaffte der junge Reporter es, diese Version von den rachsüchtigen „Chaoten“ aufrechtzuerhalten. Dann dementierte er. „Frei erfunden“ sei die Geschichte, meldete gestern die Polizei, und Radio 100,6 entschuldigte sich bei seinen Hörern. Der Reporter habe die Nacht durchgezecht und Angst gehabt, die „hohe Erwartungshaltung“ seines Arbeitgebers an die Live-Reportage nicht erfüllen zu können. Deshalb sei er weggelaufen und habe dann die Geschichte mit der Entführung erfunden. Der Sender hat ihn beurlaubt, die Polizei zeigte ihn an wegen „Vortäuschen einer Straftat“.

Doch nicht so gut wie mein Klassenfreund Maxe, aber der hat ja auch nicht so blindwütig in Volkes Vorurteilskiste gegriffen und - er wurde nicht vom Staatsschutz verhört.Brigitte Fehrle